27. Februar 2018, 08:14 Uhr

Selbstversuch

Selbstversuch: Zwei Redakteure verbringen eine qualvolle Trainingsstunde im Freien

Im März kommt der Glaube zurück, dass es auch noch etwas anderes als grauen Himmel, Eis und Schnee gibt. Dann ist genau die richtige Zeit, um wieder an die eigenen Fitness zu denken. Ein Selbstversuch beim »Training im Freien«.
27. Februar 2018, 08:14 Uhr
Von Philipp Keßler,
Von Erik Scharf

Fünf Grad, Nieselregen – ein ganz normaler Tag für die neuesten Netflix-Serien, die Maxi-Chipstüte mit 25 Prozent mehr Fett und ganz wenig Bewegung. Dann kommt Rica Wittich um die Ecke. Groß, sportlich, Wetterauer Schnauze.»Auf geht’s«, lautet ihre Ansage. Und schon trottet ihr die Menge von großen, kleinen, jungen und alten Freizeitsportlern hinterher – und die zwei Streifzug-Redakteure.

Die Streifzug-Redakteure Philipp Keßler und Erik Scharf im Selbstversuch bei Rica Wittich ...

Die hatten sich nämlich für eine Stunde »Training im Freien« – so auch der Name ihres Unternehmens – eigens in Sportklamotten und mit Handtuch und Wasserflasche bewaffnet auf einem Bad Nauheimer Parkplatz eingefunden. Ihre Fitness-Stunde ein paar Ecken weiter im Park beginnt entgegen dem anfänglichen Ton recht entspannt. Gemeinsam mit den 14 weiteren Teilnehmern joggen wir gemütlich durch den Bad Nauheimer Südpark. Derweil baut Rica den weniger gemütlichen Teil auf. Acht Stationen Zirkeltraining gilt es zu absolvieren.

 

Eine Minute Vollgas

Immer mit einem Partner geht es zu einer Station. Die Trainerin pfeift und stoppt die Zeit: eine Minute Vollgas geben heißt es dann. Das ist beim gemütlichen Werfen und Fangen eines Medizinballs noch vergleichsweise harmlos, doch spätestens beim Seilspringen trennt sich die Spreu vom Weizen. Nicht nur die Koordination und die Erinnerung an Kindertage ist gefragt, sondern auch Ausdauer.
 

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Das Ganze wird dadurch verschärft, dass es praktisch keine Pause gibt. Rica Wittich macht die Übungen zu Beginn einmal vor, die Mehrheit der Teilnehmer ist nicht zum ersten Mal mit dabei und nickt das lässig ab. Anschließend heißt es nach jeder Minute, zu deren Ende ein lauter Ton von Wittichs Handy-Stoppuhr tönt, sofort an die nächste Station gehen, sich an die Aufgabe erinnern und wieder loslegen – Trinkpause ist nicht. Zumindest nicht gleich.

Die Streifzug-Redakteure Philipp Keßler und Erik Scharf im Selbstversuch bei Rica Wittich ...

Nach einer Runde und gut zehn Minuten ist es erst einmal geschafft. Die ist bei dem einen oder anderen – unter anderem uns, die wir unsere Körper im Winter in Sachen Fitness sträflich vernachlässigt haben – bitter nötig. Wittich springt derweil gut gelaunt in ihrer grünen Jacke und mit ihren beiden blonden Zöpfen umher und hat für jeden einen flapsigen Spruch parat – wie schon während des Trainings. Denn ganz uns selbst wollte sie uns dann wohl doch nicht überlassen, werden doch die Übungen stets unter ihrem strengen Blick absolviert. Schummelt jemand oder hat er die falsche Haltung, greift sie ein und nimmt sich ihre Schützlinge zur Brust. Erst danach geht’s weiter.

Kurz vorgestellt

Das ist Rica Wittich

Rica Wittich aus Bauernheim ist 26 Jahre und bereits seit dreieinhalb Jahren selbstständig. Nach einer Ausbildung zur Sport- und Fitnesskauffrau und einem Studium in Sport und Gesundheit arbeitete sie zunächst in der Verwaltung eines Fitnessstudios, ehe sie im privaten Kreis erste Erfolge im Personal Training feierte. »Da waren Leute, die haben mit mir 20 oder 30 Kilo abgenommen. Das war klasse. Und an der Arbeit habe ich sowieso immer gefragt, wie man es eigentlich besser machen könnte«, erzählt sie. Mit Unterstützung ihrer Eltern wird aus dem Training für Freunde und Bekannte im Garten ein Unternehmen. Inzwischen gibt Wittich 62 regelmäßige Kurse im Kreis Gießen und im Wetteraukreis, bietet darüber hinaus Kurse für Firmen, Vereine oder Personal Trainings an. Zwölf Trainer arbeiten für Wittich, zwei davon fest angestellt. Ihre Geschäftsidee ist denkbar einfach: Alles läuft über ihre Website. Dort kann man Probetrainings oder Kurse buchen, immer sechs Einheiten, wobei zwei davon abwählbar sind. Ansonsten gibt es keine Vertragslaufzeit und keine Grundgebühr. »Es ist wie bei Amazon ein Buch zu kaufen«, sagt Wittich. Um die Seite kümmert sich ein Programmierer, ansonsten verwaltet das Wetterauer Urgestein sich alleine. Das bedeute zwar nicht selten 14-Stunden-Tage, aber »es macht einfach nur Spaß«. Bereut hat sie den Schritt in die Selbstständigkeit nie. Sie sucht inzwischen weitere Trainer – mit Ausbildung, Lizenz und vor allem Erfahrung im Unterrichten.
 

Qual biblischen Ausmaßes

Besonders anstrengend ist dieser Termin – obwohl ohne Teilnahme am Trainingsprogramm und in »Zivilkleidung« – für unsere Fotografin Nici Merz. Denn bei 16 Teilnehmern an acht Stationen auf engem Raum, dem nicht perfekten Licht an diesem winterlichen Nachmittag und mittendrin zwei Volontären an ihrer körperlichen Belastungsgrenze fällt es zunehmend schwer, Bilder zu machen, die nicht zu sehr nach einer Qual biblischen Ausmaßes aussehen. Dazukommt: Aufgrund der schnellen Wechsel kann sie sich ebenso wenig wie wir richtig auf die jeweilige Übung und damit das perfekte Motiv einstellen. Man kann sich seine Termine eben nicht immer aussuchen – weder als Redakteur noch als Fotografin.
 

In der Zwischenzeit sind wir in der zweiten Runde. Hier und da muss sich noch mal in Erinnerung gerufen werden, was an der Station eigentlich verlangt wird. Das kann schon mal zehn Sekunden in Anspruch nehmen. Wertvolle Zeit. Es scheint aber, als hätte Wittich ihre Stoppuhr auf eine Minute und zehn Sekunden gestellt, denn irgendwie kommt die Minute immer länger daher.

 

Eiche lacht über erbärmliche Versuche

 

Die Streifzug-Redakteure Philipp Keßler und Erik Scharf im Selbstversuch bei Rica Wittich ...

Besonders quälend sind die sechzig Sekunden an der großen Eiche. Dort hängen zwei Gurte, an denen jeweils ein Haltegriff befestigt ist. In Schräglage bei ausgestreckten Armen muss man sich an den Griffen nach oben ziehen, bis der Oberkörper parallel zu Armen und Griffen steht. Vor der ersten Runde hatten die überzeugten Kraftbolzen noch Mitleid mit dem alten Baum, der nach mindestens zwei Zügen sicher entwurzelt werden würde. Nun, in Runde zwei, wird das Lachen der Eiche mit jedem erbärmlichen Versuch, wieder in Parallelstellung zu kommen, lauter.


Mittlerweile wird vor jeder Station bereitwillig für ein weiters Foto oder das x-te Video posiert – nur um auf diesem Höllenritt etwas Zeit zu gewinnen. Unsere Trainerin bleibt diese Schummelei natürlich nicht verborgen. »Burpees! Ihr müsst das mit Burpees machen!«, schallt es durch den Südpark, die Blicke der anderen Teilnehmer wandern feixend in unsere Richtung. Also gut. Fünf Meter liegen zwischen zwei Hütchen, es ist für uns die letzte Station des zweiten Durchgangs. An jedem Hütchen sollen wir in die Hocke, die Beine nach hinten in die Liegestützposition schwingen, das Ganze zurück und aus der Hocke nach oben springen. Dann ab zum anderen Hütchen.

 

Die Lichter gehen aus

Die Streifzug-Redakteure Philipp Keßler und Erik Scharf im Selbstversuch bei Rica Wittich ...

Dann die ersehnte Pause. »Haben wir alle Fotos? Müssen wir noch was machen?«, fragen wir unsere Fotografin. Sie hat offensichtlich auch Spaß daran gefunden, uns leiden zu sehen. »Ich mach noch ein paar Videos«, sagt sie und kann sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Fest steht: Das nächste Mal machen wir die Fotos. Mitten in der zweiten Runde ist es dann bei einem von uns aus mit der Freude am Sport. Schwindel und Übelkeit stellen sich ein, lang ausgestreckt liegt er unter dem Baum und versucht, die Füße nach oben zu heben. Doch Rica Wittich hat die Lösung: »Na, da hat einer nicht genug gegessen. Komm her, hier hast du einen Traubenzucker. Der wirkt wahre Wunder.«

Training im Freien

Das Konzept

Ein Trainer, maximal 15 Teilnehmer geben eine Stunde Vollgas. Kurzes Warmlaufen, dann Übungen an Stationen – immer eine Minute lang, anschließend kurze Pause. Zum Abschluss gemeinsames Dehnen. Es gibt vier unterschiedliche Level, vom Anfänger bis zum Vollprofi. Einen sechswöchigen Fitnesskurs gibt es für den Preis von 5,50 Euro pro Einheit, keine Vertragsbindung.

Gesagt, getan. Der Traubenzucker zirkuliert wenige Minuten später in der Blutbahn und langsam kehren die Lebensgeister in den blass gewordenen Streifzug-Redakteur zurück. Hämische Kommentare? Nur vom Kollegen, der Rest schaut eher mitleidig. »Als ich das erste Mal hier war, hat es bei mir keine zehn Minuten gedauert, bis ich den ersten Traubenzucker brauchte«, sagt eine Teilnehmerin, während sie ihren Partner im nächsten Atemzug schon wieder auf die richtige Körperhaltung beim Umgang mit einem Gummiband zum Trainieren der Nackenmuskulatur korrigiert.

 

Gemeinschaft über das Training hinaus

 

Die Streifzug-Redakteure Philipp Keßler und Erik Scharf im Selbstversuch bei Rica Wittich ...

Denn auch das gehört zu »Training im Freien« dazu: Jeder macht das, was er kann. Jeder hilft jedem und schaut, dass es allen gut geht und die Übungen richtig durchgeführt werden. Dazwischen ist bei entsprechender Atemluftreserve auch ein kleines Schwätzchen möglich – und man lernt sich kennen. Das kann dann schon einmal dazu führen, dass die gesamte Gruppe auf einen Polterabend eingeladen wird – neulich erst so geschehen, erzählt Wittich nach der Stunde. Diese hatte sie traditionell mit Dehnungsübungen abgeschlossen: »Damit es morgen nicht so viel Muskelkater gibt.«

Letzteres war leider nicht der Fall, Spaß gemacht hat’s trotzdem – vor allem in Verbindung mit der heißen Dusche im Anschluss. Die Folge: Zumindest einer von uns schwingt sich seitdem öfter nach der Arbeit an die frische Luft, um etwas für seine Fitness zu tun – die Badehosenwunschfigur ist ja schließlich nicht der einzige gute Grund, mal wieder Sport im Freien zu treiben.

Training im Freien

Kontakt

Inhaberin: Rica Wittich
Nebenstraße 2a
61169 Friedberg
Tel.: 06031/6770010
Fax: 06031/6770011
E-Mail: info@training-im-freien.de
Web: www.training-im-freien.de

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