Christian Redl ist der Mann für's Fiese. Beim Gießener Krimifestival liest er Geschichten über wahre Mordfälle. Im Streifzug spricht er über Momente am Abgrund, die Faszination des Bösen und Rosamunde Pilcher.
22. September 2017, 11:09 Uhr
Von Stefan Schaal
Christian Redl am Set des »Spreewaldkrimi«. (Foto: dpa)
Herr Redl, beim Krimifestival lesen Sie zwei wahre Geschichten aus dem Band »Crime live« vor. Darin geht es auch um einen Mann, der seine große Liebe tötet. Warum haben Sie sich diese Geschichten ausgesucht?
Christian Redl: Die Geschichte handelt nicht von einem Serienmörder, der eine Spur des Schreckens hinterlässt. Es geht in beiden Fällen um die Innenwelt von Liebenden. Zwei Menschen lernen sich kennen, verlieben sich, und irgendwann wird plötzlich alles ganz fremd. Von heute auf morgen ist der andere nur noch jemand, den man vernichten muss. Wie es dazu kommt, wie sich das langsam entwickelt – das hat mich interessiert.
Christian Redl kommt im Rahmen des Krimifestivals nach Gießen. (Foto: pm)
Wenn Sie Krimis lesen: Ergreifen Sie dann manchmal auch Sympathie für die Bösen?
Sie haben ja selbst schon sehr oft in Filmen den Bösewicht gespielt.
Redl: Mein Urknall war 1990 »Der Hammermörder«. Die Geschichte eines Polizisten, der seine eigene Familie liquidiert. Der Film hat offensichtlich Eindruck hinterlassen. Danach traute man mir alles Mögliche zu.
Mein Urknall war 1990 »Der Hammermörder«
Christian Redl
Alles Mögliche – nur nicht die Komödie.
Redl: Ich habe kürzlich eine gedreht, vor zwei Jahren, mit Hannelore Hoger. Im Theater habe ich ganz viele Komödien gespielt, da war ich oft der Komiker. Im Fernsehen wurde ich immer wieder als der Mann für das Böse engagiert.
Haben Sie eigentlich nie davon geträumt, mal den Schwiegervater in einem Rosamunde-Pilcher-Film zu spielen?
Redl: Durch Cornwall, wo die Pilcher-Filme spielen, bin ich immer wieder gerne gereist, da ist es wunderschön. Aber die emotionalen Auseinandersetzungen auf der Rosamunde-Pilcher-Ebene interessiert mich wenig. Das ist nette Unterhaltung. Aber nichts, was ich spielen möchte.
Weil Sie so oft den Bösen gespielt haben: Könnte es auch daran liegen, dass Sie als Schauspieler wenig wandelbar sind?
Redl: Ich denke nicht. Ich habe erst mit 40 angefangen, in Fernsehfilmen zu spielen. Vorher war ich viele Jahre am Theater, habe die Palette rauf und runter gespielt. Das ich sehr oft den Bösen gespielt habe, hat wohl mit dem »Hammermörder« zu tun. Man bekommt das zu spielen, was man in den Augen der Redakteure am besten kann.
Worin liegt denn die Faszination für das Böse?
Redl: Es leuchtet mehr. Abgründe sind natürlich interessanter als normale Verhaltensweisen. Wenn du Familie hast, und alles ist gut – das ist nicht so wahnsinnig spannend. Wenn jemand aber diese Familie zerstört, dann erzeugt das ein gewaltiges Vibrato. Und du fragst dich: Was ist los mit diesem Menschen? Wo kommt das her?
Lernen wir etwas von dem Bösen? Oder von der Darstellung des Bösen?
Redl: Wir lernen, dass wir alle unsere Abgründe haben. Und dass es Mut erfordert, in den eigenen Keller zu schauen. Wir möchten uns ja gerne zivilisiert verhalten. Ab und zu aber brennt uns die Sicherung durch, und wir schlagen zu.
Sie zitieren gerne Büchners Woyzeck: »Jeder Mensch ist ein Abgrund«.
Redl: Richtig. »Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.« Was für ein Satz. Schauen Sie sich die Leute an, die extreme Taten begangen haben und die als liebevolle Familienväter wahrgenommen wurden. Jeder sagt: Das kann doch nicht sein, ich verstehe überhaupt nichts mehr. Wir alle haben mit unseren Dämonen zu kämpfen. Letzten Endes geht es in unserer Zivilisation nur darum, dass man versuchen sollte, sie unter Kontrolle zu bringen. Wer sich ihnen ausliefert, ist verloren und wird zum Gewalttäter und sogar zum Mörder.
Durch Cornwall, wo die Pilcher-Filme spielen, bin ich immer wieder gerne gereist, da ist es wunderschön
Christian Redl
Wie schafft man es, diesen Schwindel zu überstehen, wenn man in seine eigenen Abgründe hinabsieht?
Redl: Man fängt damit an, dass man versucht, sich selber zu erkennen. Man stellt sich vor den Spiegel und schaut sich an. Was ist los mit dir? Das erfordert ziemlich viel Mut und ist auch nicht ganz einfach, die meisten machen das eh nicht.
Schauspieler Christian Redl, hier bei Dreharbeiten als Kommissar Thorsten Krüger im «Spree...
Haben Sie selbst schon diesen Mut aufgebracht und in den Spiegel geschaut?
Redl: Ich habe einiges ausprobiert, und ich bin mit mir im Reinen. Ich habe eine ziemlich klare Vorstellung von mir. Ich mache mir nichts vor, lebe in keiner Scheinwelt und versuche nicht, irgendjemand zu sein, der ich nicht bin.
Ein brutaler Film war »Angst«: Darin vergewaltigt die von Ihnen gespielte Figur die eigene Tochter.
Redl: Ja, das war furchtbar. Das hat auch einiges an Irritationen hinterlassen. Da gab es viele Leute, die nicht gewusst haben, mit wem sie es zu tun haben, wenn sie mir begegnet sind. Die musste ich daran erinnern, dass ich Schauspieler bin. Dass ich die Rolle nur gespielt habe. Das war schon heftig. Da gab es manchmal auch Antipathien. Menschen, die sich mir nur vorsichtig genähert haben. Weil man meinte, ich und die Rolle seien deckungsgleich.
Antipathien auch unter Bekannten und im Freundeskreis?
Redl: Wer mich kennt, weiß: Ich bin ein ganz anderer Mensch. Ich lache gerne, esse gerne, trinke gerne. Ich bin sehr kommunikativ und mache jeden Blödsinn mit. Aber Leute, die mich nicht kannten, die mich nur aus der Ferne diagnostizieren, meinten: Bei dem muss man vorsichtig sein (lacht).
Wenn man Sie nur aus dem Fernsehen kennt, hat man von Ihnen eine Vorstellung als wortkargen einsamen Wolf.
Redl: Die Vorstellung ist natürlich falsch. Ich bin verheiratet, habe eine wunderbare Frau. Sie ist Direktorin einer Grundschule in Gelsenkirchen. Da habe ich zu Hause eine ganz andere Ebene. Wenn wir zusammen sind, geht es nicht so sehr um Fernsehen oder Theater, sondern hauptsächlich um reale Dinge außerhalb dieser Scheinwelt.
Anthony Hopkins ist mein Vorbild als Schauspieler. Als Hannibal Lecter in »Das Schweigen der Lämmer«. Der allertiefste Abgrund überhaupt
Christian Redl
Haben Sie auch schon Rollen abgelehnt, weil sie Ihnen zu brutal waren?
Redl: Das habe ich öfter gemacht, klar. Einige Bösewicht-Rollen kommen sehr platt daher, sie sind nach einem einfachen Muster gestrickt, haben keine Tiefe. Mich interessieren die Rollen, die Gehalt und Herkunft haben.
Haben Sie ein Vorbild als Schauspieler?
Redl: Das habe ich: Anthony Hopkins. Als Hannibal Lecter in »Das Schweigen der Lämmer«. Der allertiefste Abgrund überhaupt. Ein Kannibale, der höflich und freundlich daherkommt. Sehr beeinruckend.
Sie sind 69 und eigentlich schon Rentner.
Redl: Ja, da staune ich selber. Ich bin sogar in bisschen drüber. Ich suche mir aus, was mir gefällt. Das ist ein echtes Privileg. Ich darf arbeiten, kann es aber auch bleiben lassen.
Derzeit tragen Sie einen Schnäuzer. Wegen einer Filmrolle?
Redl: Ich spiele demnächst Friedrich Ebert. In einem Fernsehfilm über den Kaisersturz nach dem Ersten Weltkrieg. Eine spannende, ereignisreiche Zeit. In vier Wochen gehen die Dreharbeiten los.
Ich stand an einer Autobahnausfahrt bei Gießen, um nach Irland zu trampen. Das war 1968
Christian Redl
Wie bereiten Sie sich darauf vor?
Redl: Vor allem ist es wichtig, sich diese sehr spezielle Politikersprache anzueignen. Ich lese viel, studiere die Ereignisse dieser bewegten Zeit.
Sie haben am Theater mit den Regisseuren Peter Zadek und Claus Peymann gearbeitet. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?
Redl: Nichts. Peymann war damals Anfänger in den 60er Jahren. Ein Regisseur, der Karriere machen wollte. Der wollte nach oben, mit all seinen Neurosen (lacht). Nachdrücklich beeindruckt hat er mich aber nicht. Eher ein Mann wie Zadek. Der hatte eine andere Dimension.
Sie sind in Kassel aufgewachsen. Waren Sie auch schon mal in Gießen?
Redl: Einmal. Ich stand an einer Autobahnausfahrt bei Gießen, um nach Irland zu trampen. Das war 1968. Das ist jetzt 50 Jahre her (lacht). Wahnsinn.
Info
Redl beim Gießener Krimifestival
Christian Redl liest am Sonntag, 8. Oktober, um 20 Uhr im Rahmen des Krimifestivals in der Kongresshalle wahre Mordfälle und Kriminalgeschichten. Infos: www.krimifestival-giessen.de