. Warum funktionieren manche Protest-Aktionen? Und wieso verpuffen andere in Windeseile? Beim zweiten Teil der Reihe »Wie weiter ab jetzt?« im Prototyp ging es diesmal um die Geschichte kreativer, provokanter, erfolg- und einfallsreicher Aktionen und deren Bedeutung für den politischen Protest. Einen Überblick gab Jörg Bergstedt von der Saasener Projektwerkstatt.
Von Jesus bis zur »Letzten Generation« bewertete der Referent verschiedene Beispiele. So etwa im Jahr 1520 die Verbrennung der Bannandrohungsbulle von Papst Leo X. durch Martin Luther. Die Kirchenspaltung habe dadurch einen nachhaltigen Auftrieb erfahren. Oder im Jahr 1930 der Friedensmarsch des Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi auf dem gewaltfreien Weg zu Indiens Unabhängigkeit von Großbritannien.
Am 7. November 1968 wiederum gab »Nazijägerin« Beate Klarsfeld dem damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger, ehemals Mitglied der NSDAP, bei einer CDU-Delegiertenversammlung in Berlin eine Ohrfeige und schrie laut »Nazi, Nazi!«. Kameraleute und Fotografen aus aller Welt hielten diesen Moment für immer fest. Er sollte Geschichte schreiben - nicht nur in Westdeutschland. Die gesellschaftliche Stimmung hinsichtlich Nazi-Vergangenheiten sei dadurch massiv verändert worden.
In den USA war Frauen bis in die 1960er Jahre nur erlaubt, an Laufwettkämpfen über eine Distanz von 2,4 Kilometern (1,5 Meilen) teilzunehmen. Damals vertraten Sportfunktionäre die Auffassung, Frauen seien zu einem Marathon körperlich nicht imstande. Ihnen könne »beim Laufen die Gebärmutter herausfallen«. Als Mann verkleidet, startete Kathrine Switzer beim Boston Marathon 1967 eine feministische Aktion und gab sich während des Laufs als Frau zu erkennen. Der vergebliche Versuch, sie gewaltsam aus dem Pulk zu entfernen, ging durch die Medien und ebnete den Frauen den Weg zu mehr Gleichberechtigung im gesamten Sport. Am 1. Dezember 1955 wurde die schwarze Bürgerrechtlerin Rosa Parks in Montgomery (US-Bundesstaat Alabama) festgenommen, weil sie sich geweigert hatte, ihren Sitzplatz im Bus für einen weißen Fahrgast zu räumen. Dies löste den »Busboykott von Montgomery« aus, der neben anderen Protesten als Beginn der schwarzen Bürgerrechtsbewegung gilt.
Im Jahr 1981 schlug Franz Christoph, Aktivist der sogenannten »Krüppelbewegung«, bei der Eröffnung der Reha-Messe in Düsseldorf dem Bundespräsidenten Karl Carstens mit seinen Krücken gegen das Schienbein und protestierte so gegen die »gönnerhafte Politik gegenüber Menschen mit Behinderung«. Er forderte stattdessen, dass Menschenrechte eingehalten werden. Was 2018 die 15-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg durch einfaches Hinsetzen mit ihrem Pappschild vor dem schwedischen Parlament auslöste, muss man heute kaum noch jemandem erklären. Schon 2019 war aus ihrem »Schulstreik fürs Klima« die Bewegung »Fridays for Future« (FFF) geworden, der sich weltweit Millionen Menschen anschlossen.
Im September 2021 seilten sich an fünf Autobahnbrücken bei München, die alle zur IAA führen, Ökoaktivisten ab und verursachten dadurch lange Staus. Ihr Ziel war es, für eine klimagerechte Mobilitätswende zu demonstrieren. Alle Autofahrer, die zur Ausstellung wollten und im Stau standen, wurden so bei allem Ärger mit dem Anliegen der Protestierenden konfrontiert. Die Aktionen der Klimakleber von der »Letzten Generation« hingegen wurden von Straßenblockade zu Straßenblockade in der öffentlichen Wahrnehmung immer unpopulärer.
Nach Ansicht von Jörg Bergstedt brauche es »provokante Aktionen mit Niveau«. Sie müssten Aufmerksamkeit erzeugen, zudem zielgenau, gut vermittelt, systemkritisch und eingebettet sein.
Der dritte Abend der Reihe beschäftigt sich am Donnerstag, 6. März, ab 18.30 Uhr im Prototyp mit der Frage: »Kooperation in Vielfalt: Wie organisieren wir uns?«