. Gleich zwei Prozesse gegen Klimaaktivisten wurden am Dienstag parallel vor dem Amtsgericht Gießen verhandelt. Das Verfahren gegen zwei Verkehrswende-Aktivisten, die 2022 eine Ampelbrücke über dem Anlagenring besetzt hatten, wurde nach der Zeugenvernehmung und zahlreichen Beweisanträgen der Verteidigung vertagt. Der Prozesstag für fünf Mitglieder der »Letzten Generation« aus Marburg, die im März und Juni vergangenen Jahres den Schiffenberger Weg und die Licher Straße blockiert hatten, endete jedoch mit mehr Gewissheit. Gegen zwei von ihnen, die sich nur an der Aktion in der Licher Straße beteiligt hatten, wurde der Prozess eingestellt, die drei übrigen befand Strafrichterin Sonja Robe der versuchten Nötigung für schuldig.
Umfangreiche Einlassungen
Den Prozessbeginn begleiteten anfangs noch das auch durch die geschlossenen Fenster des Gerichtssaals gut hörbare Trommeln und der Gesang von Aktivisten der Gießener Verkehrswende und der »Letzten Generation«, die den Angeklagten ihre Solidarität spendeten. Auch die Zuschauerbänke waren angefüllt mit etlichen Unterstützern, welche die Ausführungen der Klimaschützer nicht selten mit Applaus quittierten.
Den fünf Umweltaktivisten wird vorgeworfen, bei ihren Blockaden unbeteiligte Verkehrsteilnehmer rechtswidrig genötigt zu haben. Alle fünf hatten im Juni 2023 die Licher Straße an der Kreuzung zum Fasanenweg blockiert, sodass der von der B 457 kommende morgendliche Berufsverkehr ins Stocken geriet. Drei von ihnen hatten außerdem bereits im März zuvor auf ähnliche Weise den Schiffenberger Weg lahmgelegt. Die außen sitzenden Aktivisten hatten sich dabei jeweils mit Sekundenkleber an der Fahrbahn verklebt, die inneren verzichteten darauf, um jederzeit eine Rettungsgasse freimachen zu können. In umfangreichen und gut vorbereiteten Einlassungen gestanden alle fünf den Ablauf der Ereignisse vollumfänglich ein, wiesen gleichzeitig aber auf die Notwendigkeit angesichts der drohenden Klimakatastrophe hin und wehrten sich gegen den Vorwurf der Nötigung, der den Einsatz von Gewalt umfasst. Ihr Protest sei legitim, demokratisch, gewaltfrei und falle unter zivilen Ungehorsam.
»Wenn im Gewaltvorwurf die Schädigung potenzieller Opfer meines Verhaltens darin besteht, eine halbe Stunde im Stau warten zu müssen, offenbart sich darin ein kaum zu übertreffender Zynismus gegenüber den Todesopfern der Klimakrise«, führte eine Kinder- und Jugendtherapeutin aus, die an beiden Aktionen beteiligt war. »Laut inzwischen zwei Urteilen verstößt meine Regierung gegen das Klimaschutzgesetz und damit gegen die Verfassung - und ich fühle mich berechtigt und verpflichtet, genau auf diese Weise handelnd darauf aufmerksam zu machen«, rechtfertigte sie ihr Vorgehen selbstbewusst. Einem Erzieher, der in der Mitte des Schiffenberger Weges saß und sich ohne Gegenwehr hatte wegtragen lassen, kamen hingegen die Tränen. »Ich bin Vater eines neunjährigen Mädchens und wünsche mir für ihre und zukünftige Generationen eine lebenswerte Welt.« Begangen hätten sie alle höchstens eine Ordnungswidrigkeit, weswegen sie auch in ihren letzten Worten einen Freispruch forderten.
Verfahren in zwei Fällen eingestellt
Die Anwälte von zwei der Angeklagten, die nur an der Licher Straße dabei waren, sowie die Richterin, signalisierten früh im Prozess die Bereitschaft für eine Verständigung. Dafür mussten die Aktivisten und ihre Verteidiger jedoch noch Staatsanwalt Tom Bayer überzeugen, der den Straftatbestand der Nötigung als erfüllt ansah. »Das Ziel ist löblich, rechtfertigt aber nicht jede Handlung«, sollte dieser später in seinem Plädoyer sagen. »Ich sehe mich hier nicht in der Lage, einer Einstellung des Verfahrens zuzustimmen«, machte er zwischendurch im Fall der an beiden Blockaden Beteiligten deutlich. Nachsehen hatte Bayer hingegen mit den anderen beiden. Gegen die erste Angeklagte, eine Rentnerin, wurde das Verfahren ohne Auflagen, gegen den Erzieher gegen Zahlung von 300 Euro an das Gießener Tierheim eingestellt.
Für das verbliebene Trio kam jedoch die Ernüchterung. Richterin Robe folgte mit ihrem Urteil zwar insofern den Argumenten der Verteidigung, als die Angeklagten in keinem der Fälle einen handfesten Stau, sondern allenfalls stockenden Verkehr erzeugt hätten, der versuchten Nötigung hätten sie sich dadurch aber dennoch schuldig gemacht. Sie verhängte eine Geldstrafe von 2250 Euro (45 Tagessätze zu je 50 Euro). Die Staatsanwaltschaft hatte 4000 Euro (80 Tagessätze zu je 50 Euro) gefordert.