Als Bundestag und Bundesrat im Januar das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen haben, ging dies mit einer Neuerung im Asylbewerberleistungsgesetzes einher. Klingt kompliziert, die Auswirkungen aber sind gravierend: Demnach sind Gesundheitsleistungen für Geflüchtete nicht mehr wie zuvor 18 Monate eingeschränkt, sondern 36 Monate - also doppelt so lang. Den Beschluss hatte zum Beispiel die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) kritisiert: »Wer von Krieg oder Flucht traumatisiert ist, kann nicht drei Jahre auf eine Psychotherapie warten«, wird Andrea Benecke, Präsidentin der BPtK, im Deutschen Ärzteblatt zitiert. Psychisch Kranke benötigten frühzeitig psychotherapeutische Versorgung - »unabhängig von der Herkunft«. Auch der heimische Kinder- und Jugendpsychologe Klaus-Dieter Grothe hält von der Änderung nichts. »Die Lage für psychisch kranke Asylbewerber wird dadurch verschlechtert«, betont der Gießener, der seit Jahrzehnten in der Flüchtlingshilfe tätig ist.
Vorher wie künftig werden nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur akute Notlagen behandelt, gerade Psychotherapie wird sehr selten genehmigt. Wie Grothe im Gespräch mit dieser Zeitung betont, ist der Genehmigungsweg eines der Probleme. »Jedes Sozialamt bewertet die Fälle anders«, sagt er, »und es gibt sogar Kreise, in denen die Betroffenen bei einem Sozialarbeiter vorsprechen müssen, der dann die Entscheidung trifft.« Für Grothe ein unhaltbarer Zustand. Denn hier müsse eine Laie eine medizinische Fachfrage klären. Ein weiteres, großes Problem sind die Übersetzungen, die beispielsweise bei der Einschätzung von psychischen Erkrankungen bei Geflüchteten eine große Rolle spielen. Wie Grothe schildert, wird diese bei Kindern und Jugendlichen in der Regel vom Jugendamt finanziert. Bei Erwachsenen aber gibt es diese Kostenübernahme nicht. »Da muss zum Beispiel im Krankenhaus die kurdische Putzfrau übersetzen«, sagt Grothe.
Stellt ein Hausarzt einen akuten Notfall fest, kann er dem betroffenen Geflüchteten eine spezielle Überweisung ausstellen. Das Problem: Kurzfristige Termine sind bei Fachärzten generell schwer zu bekommen. Gleichzeitig sieht sich die Terminservicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung, an die man sich für die Vermittlung eines Facharzttermins wenden kann, laut Grothe aber nicht zuständig für Asylbewerber. »Das hat natürlich drastische Auswirkungen«, sagt er.
Zentren nur in EAEH zuständig
Auch in Hessen gibt es psychosoziale Zentren für Geflüchtete, die aber nur innerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen eine Einschätzung zum psychischen Zustand eines Betroffenen geben können. »Wir wissen, dass viele psychische Auffälligkeiten auftreten, wenn die Menschen nicht mehr in der Einrichtung leben«, betont Grothe. Erst nach sechs Monaten oder einem Jahr würden Störungen offensichtlich, »und dann gibt es keine adäquate Finanzierung und Angebote«.
Laut Grothe würde es wenigstens ein wenig helfen, wenn psychosoziale Zentren für Geflüchtete auch außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen tätig sein dürften. Dann könnten sie prüfen, ob die Behandlung bei einem Fachmann nötig ist. »Wir wissen aber nicht, wie es mit den Zentren weitergeht«, betont Grothe. Denn im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierung werde zur Zukunft der Zentren keine eindeutigen Aussagen getroffen.
Dabei ist es kein Geheimnis, dass Flucht und Migration Auswirkungen auf die Psyche haben können. Nicht nur, wenn die Menschen mit Krieg oder Vertreibung konfrontiert waren, sondern auch wegen des unsicheren Aufenthalts hier in Deutschland, einer drohenden Abschiebung, Diskriminierungserfahrungen oder der Sorge um zurückgebliebene Familienmitglieder und Freunde. Studien zufolge haben gut 30 Prozent der Geflüchteten eine posttraumatische Belastungsstörung, ebenfalls 30 Prozent leiden unter Depressionen oder Angststörungen. Wenn diese Menschen zu spät behandelt werden, können die Leiden chronisch werden - und die Chancen auf Heilung schwinden.