. Mit der »Fünften Jahreszeit« sind für viele Menschen ausgefallene Kostüme, unterhaltsame Fremdensitzungen oder bunte Fastnachtsumzüge untrennbar verbunden. Aber auf welchen historischen Ursprüngen beruhen diese Traditionen eigentlich? Hat das Fest auch religiöse Hintergründe? Und wie hat es sich im Laufe der Zeit verändert? Das waren einige der Fragen, denen sich die Kirchenhistorikerin Dr. Birgitta Meinhardt im Gemeindesaal der katholischen St.-Thomas-Morus-Kirche widmete.
»Ich bin mit dem Karneval aufgewachsen. Meine ganze Familie ist karnevalsbegeistert«, erzählt Meinhardt, die Theologie, Geschichte und klassische Philologie in Gießen und Marburg studierte und hauptberuflich für die Städtische Sammlung Wetzlar arbeitet. Nebenbei unterrichtet sie an Volkshochschulen und ist für das Oberhessische Bildungswerk in der kirchlichen Erwachsenenbildung tätig. »Wenn mich ein Thema wie der Karneval interessiert, dann recherchiere ich dazu. Ich besuche Museen, befrage Zeitzeugen oder betreibe in Bibliotheken Literaturrecherche«, erklärt Meinhardt. Für den aktuellen Vortrag habe sie etwa auch das Mainzer Fastnachtsmuseum besucht. In der katholischen St. Thomas Morus Kirche sei sie seit ihrer Kindheit fest verwurzelt und kehre nun gerne zurück, um das Gemeindeleben mit ihren Vorträgen zu bereichern, so auch an diesem Abend.
Meinhardt erklärt, dass die Fastnacht eng mit dem Verlauf des christlichen Kirchenjahres zusammenhänge. 40 Tage vor Ostern beginne die Fastenzeit. Die Tradition des Fastens gehe auf alttestamentliche Propheten und Jesus selbst zurück, der 40 Tage in der Wüste fastete. Indem man in der Fastenzeit auf bestimmte Lebensmittel oder Vergnügungen verzichtet, mache man sich frei für Gott und seine Mitmenschen. Und vor eben jener Zeit des Verzichts habe man sich nochmal ordentlich vergnügen und des Lebens erfreuen oder ganz pragmatisch Vorräte aufbrauchen wollen, so Meinhardt.
Die Verbindung von Karneval oder der Fastnacht zum Fasten spiegele sich auch in den Namen wider: So leite sich »Karneval« von »carne vale« ab, was so viel bedeutet wie »Fleisch, lebe wohl«. »Fastnacht« oder »Fasteloben« bezeichne den Abend vor Beginn der Fastenzeit. Da der Tag, an dem Ostern gefeiert wird, vom Frühlingsmond abhänge, änderten sich entsprechend auch die Tage, an denen Fasching gefeiert wird. Und ob man nun »Fasching«, »Karneval« oder »Fastnacht« sage, sei regional verschieden, meine aber das Gleiche.
Faschingsfeste habe es schon im Mittelalter gegeben. Gerade auch in der Zeit vor der Reformation durch Martin Luther habe es viele fastende Menschen gegeben, die hofften, dadurch schneller in das Paradies zu gelangen. Sie hätten dann vor dem Fasten auch eine Art Fasching gefeiert. Mit der Reformation und dem damit einhergehenden veränderten Verständnis von Sünde und Gnade sei dann unter Protestanten das Fasten weggefallen. Entsprechend habe es auch kein spaßiges Fest davor, also Fasching, gebraucht. Dies erkläre auch, warum auch heute noch der Karneval insbesondere in den katholisch geprägten Regionen Deutschlands weit verbreitet sei.
Erste Karnevalsvereine hätten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts gegründet, um mehr Ordnung in die Organisation der Feierlichkeiten zu bringen. Dass Karneval auch zur Kritik an politischen Umständen genutzt wurde, reiche ebenfalls weit in die Geschichte zurück. Schon zur Zeit der französischen Revolution, im Vormärz oder während der Revolution 1848/49, habe der Karneval eine Möglichkeit zur Kritik an den Herrschenden geboten. In den 1930er Jahren hätten die Nationalsozialisten versucht, Fasching zu Propagandazwecken zu nutzen und daraus ein »altgermanisches Frühlingsfest« zu machen. »Echte Faschingsfeierer«, die Fasching weiterhin als Gelegenheit nutzten, die Regierung zu kritisieren, seien dabei nicht selten inhaftiert oder gar ermordet worden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich die Fastnacht allerdings glücklicherweise schnell wieder von dem nationalsozialistischen Missbrauch erholen können und sei etwa durch katholische Kriegsvertriebene vermehrt auch in protestantische Teile Deutschlands gebracht worden. Während die Fastnacht in der Bundesrepublik immer politischer wurde, habe die DDR keine politischen und religiösen Bräuche geduldet. Kinderfasching sei als Vergnügen der Kleinsten toleriert worden, Feierlichkeiten für Erwachsene habe man teils absichtlich auf Aschermittwoch terminiert, um Christen zu verärgern.
Im Laufe der Jahrzehnte hätten sich zudem in jedem Ort ganz eigene Karnevalsbräuche entwickelt. Im Landkreis Gießen gibt es etwa in Rabenau oder in Biebertal-Königsberg einen Strohbär, der am Fastnachtsdienstag durch das Dorf getrieben wird. Auch weltweit haben sich viele verschiedene Traditionen etabliert, beispielsweise beim großen Karnevalsumzug in Rio de Janeiro oder den berühmten Feierlichkeiten in Venedig.
Und dass ein spaßiges Fest wie Karneval mit einer ernsten Angelegenheit wie dem Fasten verbunden ist, gebe es nicht nur im Christentum, sondern etwa auch im Islam beim Ramadan und anschließendem Zuckerfest. Im Judentum ähnele das Fest »Purim« dem christlichen Karneval. Der Austausch zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen liegt Meinhardt gerade in unseren heutigen politischen Zeiten besonders am Herzen. Nicht nur für den Karneval gelte: »Einfach mal nachfragen und zuhören.«