. Frank-Tilo Bechers Blick in die Zukunft war vielleicht der gewagteste. Aber der Oberbürgermeister sah vor seinem inneren Auge »Seniorinnen und Senioren beim Sport im Theaterpark«. Was gar nicht so weit hergeholt ist - im doppelten Sinne: Denn Seniorensport ist schon längst eine feste Größe in unserer Gesellschaft. Und dass die ältere (respektive älteste) Generation stärker in den Fokus rückt, belegte nicht zuletzt die Wanderausstellung »Was heißt schon alt?« im Foyer. Doch in erster Linie blickte das Johannesstift an diesem Samstagvormittag zurück: auf 75 Jahre Wiederaufbau des Seniorenheims am Evangelischen Schwesternhaus sowie 40 Jahre Altenhilfezentrum Johannesstift. Zwei Gründe für eine Jubiläumsfeier. Eingeladen hatte der Träger der beiden Institutionen, der in der christlichen Diakonie beheimatete Verein für Kranken-, Alten- und Kinderpflege zu Gießen.
Gedankenspiele
Zur Vision Bechers trägt sicherlich bei, dass die Lokalität zu solchen Gedankenspielen ermutigt. Nahe dem Theaterpark in der Innenstadt in der Johannesstraße 7 beheimatet, handele es sich nämlich um »einen Standort, den man besser nicht haben könnte«, sagte Erwin Kuhn vom Hospiz-Verein Gießen in seinem Grußwort. »Hier grenzen wir alte Menschen nicht aus.« Und gemäß den Ausführungen des Stadtoberhaupts ist es ein wichtiger Ort in der Stadtgesellschaft. Denn hier werde ein »würdiges Leben« durch »würdiges Kümmern« ermöglicht. Faktoren, die das Johannesstift dem schriftlich übermittelten Grußwort von Landrätin Anita Schneider (kurzfristig durch die Folgen eines Unfalls verhindert) zufolge »zu den beliebtesten Pflegeheimen der Stadt« zählen lässt.
Dass die Ortswahl seinerzeit keinem Zufall unterlag, unterstrich Marianne Wander, die Vorsitzende des Trägervereins. Bei der Wiedereinrichtung eines Altenheims nach 1945 sei nicht nur die Finanzierung von Bedeutung gewesen. »Die Bewohner sollten in ruhiger Lage, Nachbarschaft von Gärten oder Anlagen und keiner allzu abseitigen Lage vom Stadtbereich wohnen«, erinnerte sie. Dazu erläuterte Geschäftsführerin Christa Hofmann-Bremer drei Gründe für eine gute Wahl der am 8. Januar 1950 eröffneten Einrichtung: Alles habe zum einen »mit einer Art Bürgerinitiative begonnen«, dem Trägerverein, zweitens unter dem Dach der Diakonie, und schließlich zeichneten sich die Verantwortlichen bis heute durch »Beharrlichkeit« aus.
Die war wohl auch nötig, wenn man den Worten von Marianne Wander folgte, die die Geschichte des Johannesstifts ausführlich darlegte. So habe die Bombennacht des 6. Dezember 1944 den Verein in die »schwerste Krise seit seinem Bestehen« gestürzt. Und die Entstehungsgeschichte führt weit zurück. Sie basiert auf der Bildung eines Frauenvereins anno 1852 zur ambulanten Armen- und Krankenpflege. Das mündete, wie Wander skizzierte, in das 1899 errichtete Evangelische Schwesternhaus mit der Krankenpflege und das 1933 in der Nachbarschaft gebaute Altersheim, beides schon in der Johannesstraße. Der Wiederaufbau nach der Bombennacht dauerte aufgrund der Umstände der damaligen Zeit vom Frühjahr 1945 bis Anfang 1950. »Ein Kraftakt«, wie der Oberbürgermeister hervorhob.
»Ein weiteres herausragendes Ereignis war die Grundsteinlegung des neuen Evangelischen Krankenhauses auf der Oberen Hardt im Jahre 1977«, berichtete die Vorsitzende des Trägervereins. So sei das bisherige Krankenhaus in ein Haus der Diakonie umgewandelt worden. Das mündete mit dem 1982 begonnenen Bauprojekt für Umbau und Sanierung des ehemaligen »EV« in das am 1. März 1985 eröffnete »Altenhilfezentrum (AHZ) Johannesstift«, das seitdem zahlreiche Neu- und Anbauten sowie einige Weiterentwicklungen erlebt hat.
»Segensreich«
Ein Bindeglied zur Vergangenheit ist der 1899 errichtete Torbogen, damals für den Seiteneingang des Schwesternhauses gebaut. Nach wechselvoller Geschichte steht er jetzt im Park des Johannesstifts. Damit werde der »segensreiche Dienst der Diakonissen ab 1895 in der Johannesstraße gewürdigt«, sagte Marianne Wander.
In die Jubiläumsveranstaltung eingegliedert war die Einführung des neuen kaufmännischen Geschäftsführers Christoph Pohl (ein »Eigengewächs«, wie Wander anmerkte) und eine Andacht durch Pfarrer Michael Paul von der Johannesgemeinde. Für musikalische Akzente sorgte der Chor »Belcanto« aus Bersrod unter der Leitung von Bettina Wissner. Deren Mitglieder hätte man sich auch, ganz im Sinne von Frank-Tilo Becher, in schwungvollen Bewegungen im Theaterpark vorstellen können.