. Wer das Festivalgelände im Schiffenberger Tal betritt, sollte besser Gummistiefel tragen. Knöcheltief steht man mitunter hinter dem großen Zelt der Gebrüder Barelli in den Schlammpfützen. »Unsere Zuschauer bekommen davon Gott sei Dank nicht so viel mit, weil es im Eingangsbereich noch recht trocken ist«, sagt Francesco Barelli, Senior-Chef des Circusbetriebs, während er über das nasse Gelände stiefelt, auf dem die Tiere, ein paar Ponys und Pferde, und die Akrobaten untergebracht sind.
Nun sind feuchte Stellplätze für sie nichts Neues. »Wir sind Circus-Leute«, sagt Barelli im Gespräch mit dem Anzeiger. In achter Generation werde der Circus bereits geführt und habe schon in zahlreichen Ländern und Städten gestanden - auf Steinpflaster und Kiesplätzen meist, selten, wie jetzt, auf einer Wiese. Durch Schnee und Regen hat sich darauf in den vergangenen Tagen viel Wasser gesammelt. Das Problem: Es läuft nicht richtig ab. Ständig müsse es abgepumpt werden, was neben den normalen Aufgaben, die in einem Circus täglich anfallen, viel zusätzliche Arbeit bedeute. »Wir müssen jeden Tag kämpfen«, sagt Barelli wütend.
Die dreifache Menge an Stroh, Sägespänen und Hackschnitzeln haben sie besorgen müssen, um das Gelände einigermaßen begehbar zu machen. Das gehe ins Geld, das sich allein über die Einnahmen generiere. Allein für Platzmiete, Wasser, Strom, Gas, Verpflegung und Futter fielen rund 7000 Euro täglich an. Auch die Artisten, die teilweise aus Brasilien eingeflogen wurden, müssen bezahlt werden. Immerhin gehe es den Tieren gut, so Barelli. Am Vortag sei das Veterinäramt zu Besuch gewesen und habe nichts zu bemängeln gehabt.
Eine dunkle Wolke zieht über den Himmel. Eine kräftige Böe weht über den Platz. Zeltplanen flattern im Wind. Barelli sieht sich auf dem mit großen Pfützen gepflasterten Gelände um. »Der Platz ist zu klein und zu weich. Er ist nicht für einen Circus geeignet«, ist sein Resümee.
Es ist der dritte Besuch der Gebrüder Barelli in Gießen. Das erste Mal hatten sie ihre Zelte in Wieseck auf dem Gelände von Neils und Kraft aufgeschlagen. Im Schiffenberger Tal stehen sie das zweite Jahr in Folge. Das Gelände in der Karl-Glöckner-Straße wurde ihnen vom Land Hessen, dem Eigentümer des Grundstücks, vermietet, wie das Polizeipräsidium Mittelhessen gegenüber dieser Zeitung bestätigt. Im vergangenen Jahr sei es noch verhältnismäßig gut verlaufen, erinnert sich Barelli.
Besucherzahlen zurückgegangen
Nun habe den Circusleuten nicht nur das nasse Wetter, sondern auch die niedrigen Besucherzahlen zu schaffen gemacht. Maximal 200 Besucher nahmen laut Barelli im Schnitt seit dem Tag der Eröffnung am 20. Dezember täglich in der Manege Platz, wo normalerweise über 500 Menschen hineinpassen. Das reiche vorne und hinten nicht. In anderen Städten sei das anders. Marburg, Frankfurt, Wiesbaden - überall seien die Vorstellungen besser besucht.
»Wir sind viel zu weit draußen«, mutmaßt Barelli. Zu Fuß komme hier doch kein Mensch hin. Woanders, da befinde sich ein Circus in der Stadt und werde viel mehr wahrgenommen. »Es ist traurig. Der Messeplatz in Gießen steht leer und wir müssen eine Schlammschlacht machen.«
»Wir sind glücklich, in Gießen gastieren zu können«, versichert Ramona Barelli, die Tochter des Seniorchefs. Sie seien dankbar, dass ihnen der Platz überhaupt zur Verfügung gestellt wurde, nachdem ihnen sowohl von der Messe GmbH an den Hessenhallen als auch von der Stadt Gießen Absagen erteilt worden seien.
Pascale Watermann, Prokurist der M.A.T. Objekt GmbH, dem Management des Ausstellungszentrums Hessenhallen, erklärt auf Anfrage, dass bis 2019 regelmäßig an Circusveranstalter vermietet worden sei. Dies sei aber »immer mit Konfliktpotenzial verbunden« gewesen. »Regelmäßig lagen Beschwerden der Nachbarschaft bezüglich Lärmbelästigung vor, teilweise sind einstweilige Verfügungen erwirkt worden, sodass wir, aufgrund eben dieser Konflikte, die Freifläche nicht mehr für Veranstaltungen vermieten können, bei denen Überschreitungen der zulässigen Lärmemissionswerte zu befürchten sind«, begründet Watermann. »Wir kommen an dieser Stelle unserer Verantwortung nach und versuchen, den Geschäftsbetrieb des Messegeländes und ein harmonisches Miteinander mit der Nachbarschaft zu vereinbaren.«
Innerstädtische Flächen fehlen
Ihm sei bewusst, dass Freiflächenveranstaltungen »ein kompliziertes Thema in Gießen« seien. »Gern würden wir diese Lücke schließen und Veranstaltungen ermöglichen, allerdings ist dies aufgrund der geografischen Lage des Messegeländes nicht möglich.«
Die Stadt Gießen bestätigt, dass es Anfang vergangenen Jahres einen Briefwechsel zwischen dem Circus Barelli und Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher gegeben habe, in dem der Circus darum gebeten habe, auf dem Messeplatz an der Ringallee stehen zu können. »Das ist aber abgelehnt worden. Denn der Messeplatz steht insbesondere zur angefragten Weihnachtszeit als Park-Ride-Fläche für Besucherinnen und Besucher der Innenstadt zur Verfügung. Wir haben ja sogar einen Bus-Shuttle in dieser Zeit dort laufen«, erinnert Stadtsprecherin Claudia Boje. Auch andere Anfragen zur Nutzung des Platzes jenseits der Messen seien bislang abgelehnt worden. »Wir haben schlichtweg keine innerstädtischen öffentlichen Flächen, die wir dem Circus für diese Zeit anbieten könnten«, so Boje.
Die Enttäuschung bei Barellis ist groß. »Es gibt in jeder großen Stadt einen Weihnachtscircus. Da stehen immer die Städte dahinter. Gießen tut sich da ein bisschen schwer«, bedauert Ramona Barelli. Die abwehrende Haltung der Stadt irritiert sie. »So ein Circus, das ist doch ein Highlight für die Bürgerinnen und Bürger, besonders für die Kinder! Wir sind dafür da, den Menschen zumindest für zweieinhalb Stunden die Sorgen zu nehmen, sie zum Lachen und zum Staunen zu bringen, gerade in der heutigen Zeit. Da sollte man schon etwas zu beitragen«, findet sie. »Wenn uns keiner entgegenkommt, werden wir es wahrscheinlich nicht mehr machen.«
Der Circus Barelli gastiert noch bis kommenden Sonntag in Gießen. Vorstellungen finden täglich um 15 und 19.30 Uhr statt - sonntags für alle Mütter kostenlos. Mehr Infos auf www.gebrueder-barelli.de oder unter 0176/69147442.