Gegenüber der IHK-Herbstumfrage 2023 hat sich die Stimmung weiter eingetrübt, sodass der Konjunkturklimaindex nunmehr bei lediglich 87,8 Punkten notiert. Damit hat er sich nochmals um rund zwei Punkte im Vergleich zum Herbst vergangenen Jahres verschlechtert. Die Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten wird deutlich unterschritten. Seit der Frühjahrsumfrage 2022 notierte der Konjunkturklimaindex bei fünf von sechs Umfragen nur einmal über 100 Punkten - eine solche Negativserie hat es seit der Frühjahrsumfrage im Jahr 2010 nicht gegeben.
»Viele Unternehmen sind rund um die Uhr extrem gefordert, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Insolvenzen konnten infolge der langanhaltenden schlechten wirtschaftlichen Lage nicht verhindert werden, Liquidität wird knapper«, warnt IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder. Rund jeder sechste Betrieb verzeichnet Liquiditätsengpässe, vier von zehn Betrieben berichten über finanzielle Herausforderungen sowie einen Rückgang beim Eigenkapital (22,5 Prozent).
Bauwirtschaft im tiefen Tal
Der IHK-Konjunkturklimaindex ermittelt die Lagebeurteilung und die Erwartungen an die zukünftige Geschäftslage. Weitere Fragen der Konjunkturumfrage drehen sich um geplante Investitionen, die Entwicklung von Beschäftigten und Export, Entwicklungsrisiken, Investitionsmotive und -pläne oder die Finanzlage der Unternehmen. Zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar hat die IHK Gießen-Friedberg über 850 Betriebe in ihrem Bezirk befragt, zu dem die Landkreise Gießen (außer Wettenberg und Biebertal), Vogelsberg und Wetterau zählen. An der Umfrage teilgenommen haben 309 Betriebe.
»Zu den belastenden Faktoren zählen in erster Linie ein Übermaß an Bürokratie, die hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie der Fachkräftemangel. Auch die Inlandsnachfrage wird kritisch gesehen und ein Rückgang befürchtet«, erläutert IHK-Präsident Rainer Schwarz. Lediglich jeder achte Betrieb im IHK-Bezirk erwartet eine bessere Geschäftslage. Eine negative Entwicklung befürchten knapp vier von zehn Betrieben. Knapp 58 Prozent geben die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen als den größten Risikofaktor für ihre Geschäftsentwicklung an, gefolgt von Energie- und Rohstoffpreisen (56,7 Prozent) und Inlandsnachfrage (55,7 Prozent). Somit planen viele Betriebe einen Abbau von Beschäftigten, weniger Investitionen und Exporte.
Laut einer Studie des ifo-Instituts und der Stiftung Familienunternehmen wollen drei von vier Großunternehmen ihre Investitionsausgaben in Deutschland senken. Im IHK-Bezirk wollen rund 34 Prozent der Betriebe ihre Investitionen zurückfahren. Im Baugewerbe ist es jeder zweite Betrieb. Mehr Investitionen plant dagegen das Kredit- und Versicherungsgewerbe. Zwei Drittel wollen in dieser Branche ihre Investitionsausgaben steigern.
Laut Bauindustrieverband Hessen-Thüringen ist die Bauproduktion in Hessen rückläufig. Die Branche bemängelt zu viel Bürokratie, zu hohe Kosten und zu wenig Bauland. Insbesondere kleinere Unternehmen verzeichneten rückläufige Umsätze. Das betrifft vor allem den Wohnungsbau. Im IHK-Bezirk liegt der Konjunkturklimaindex der Baubranche bei 62,9 Punkten. Die schlechte Stimmung spiegelt sich im Rückgang von Investitionen (rund 53 Prozent) und Beschäftigten (knapp 39 Prozent). Die größten Entwicklungsrisiken sieht das Baugewerbe in Energie- und Rohstoffpreisen (rund 78 Prozent) sowie in einer nachlassenden Inlandsnachfrage (knapp 67 Prozent). Vier von zehn Betrieben verzeichnen einen Eigenkapitalrückgang. Noch immer bereiten Störungen in der Lieferkette dieser Branche Probleme.
Industrie ist EU-Schlusslicht
Andere Branchen wie der Fahrzeugbau befinden sich ebenfalls in einer prekären Situation. E-Mobilität und Chipmangel sind Herausforderungen, die zu einer schlechteren Wettbewerbsfähigkeit geführt haben - insbesondere auch im Vergleich mit den USA und der sonstigen EU. In beiden Regionen liegt der Produktionsindex seit drei Jahren höher. Ein Ländervergleich der Industrieproduktion in der EU verweist Deutschland auf den letzten Platz, Spitzenreiter ist Polen (Veränderung zwischen 2015 und 2023). Insgesamt ist Deutschlands Industrie seit 2017 im Abwärtstrend, nach der Corona-Pandemie ist der Anschluss verpasst worden. »Von einer schwächelnden Industrie sind weitere Branchen betroffen, dies wird sich erst im Zeitablauf zeigen. Ein entschiedenes Gegensteuern durch eine verlässliche Wirtschaftspolitik ist essenziell«, so Schwarz. Ansonsten seien weitere Abwanderungen von Industriebetrieben in Länder mit attraktiveren Standortbedingungen eine akute Gefahr.
Auch die Gastronomie und Hotellerie steht vor großen Herausforderungen. Seitdem die Mehrwertsteuer für Speisen und Getränke, die im Restaurant verzehrt werden, wieder bei 19 Prozent liegt, kommen die Betriebe nicht umhin, ihre Preise anzuheben. Eine aktuelle Umfrage vom Deutschen Hotel- und Gastronomieverband (DEHOGA) zeigt auf, dass 94 Prozent die Preise in diesem Jahr bereits erhöht haben oder noch erhöhen werden, weil sonst ein Umsatzverlust drohe. Die Branche hat nicht nur durch die Corona-Pandemie Schlagseite, auch die gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe haben das Geschäft in Restaurants und Hotels erschwert. Jeder zweite Betrieb beurteilt seine aktuelle Lage als schlecht, im Herbst waren es nur ein Drittel und damit deutlich weniger Betriebe. Generell befürchtet die Branche, dass durch die gestiegenen Preise vermehrt Gäste ausbleiben werden.
Der Klimaindex notiert daher in dieser Branche im IHK-Bezirk mit 75 Punkten weit unterhalb der Zufriedenheitsschwelle. Auf Landesebene ist die Einschätzung für Gastronomie und Hotellerie etwas positiver. Knapp 23 Prozent bewerten die aktuelle Lage als schlecht, hessenweit liegt der Klimaindex für Gastronomie und Hotellerie bei 88,2 Punkten. Auch der Fachkräftemangel setzt der Branche zu. Über 57 Prozent der Betriebe im IHK-Bezirk befürchten dadurch eine nachteilige Entwicklung. »Mit dem Internationalen Fachkräfte Nexus unterstützt die IHK ihre Betriebe, Fachkräfte zu finden«, weist Schwarz auf ein IHK-Unterstützungsangebot hin. Der »Internationale Fachkräfte Nexus« ist eine Austauschplattform für Betriebe und Dienstleister, die Fachkräfte aus Drittstaaten vermitteln. Ein Schwerpunkt ist dabei die Vermittlung von Köchinnen und Köchen für Gastronomie und Hotellerie.
Stütze der Wirtschaft sind die Dienstleister, wobei auch diese Branche mit 98,8 Punkten noch knapp unterhalb der 100er-Zufriedenheitsschwelle notiert. Positiv beurteilen insbesondere IT-Dienstleister und Unternehmensberater ihre Lage. Durch die Anforderungen der Digitalisierung sind viele Unternehmen auf die Unterstützung dieser Dienstleister angewiesen.
Mit einem Konjunkturprogramm für die Innenstadt erhielt das Gießener Stadtzentrum im Weihnachtsgeschäft Unterstützung vonseiten der Stadt. Maßnahmen wie kostenloses Parken, eine Werbekampagne oder ein Advents-Shuttle sollten mehr Besucher in die City locken. Eine Reihe von Betrieben berichtete infolgedessen von höheren Umsätzen, einige konnten aber immer noch nicht an die Vorjahrszahlen anschließen.
Kritisch beurteilen viele Einzelhändler die Situation rund um den Verkehrsversuch, das Auf und Ab bei Karstadt sowie das wirtschaftspolitische Umfeld, das nach wie vor zu einer Kaufzurückhaltung führe. Dass sich die Stimmung dennoch insgesamt deutlich verbessert hat, verdeutlicht der Sprung des Klimaindex über 25 Punkte auf rund 81 Punkte. Insgesamt beläuft sich der Konjunkturklimaindex für den Landkreis Gießen (ohne Wettenberg und Biebertal) auf 89,2 Punkte.