11. März 2024, 20:30 Uhr

Depositalvertrag unterzeichnet

38 000 Liebig-Sammelbilder für Gießen

Die Justus-Liebig-Gesellschaft erhält als Leihgabe eine beeindruckende Sammlung für das Liebig-Museum: Rund 38 000 Sammelobjekte beziehen sich ausschließlich auf »Liebig’s Fleischextrakt«.
11. März 2024, 20:30 Uhr
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In solchen Döschen wie in der Bildmitte wurde das Fleischextrakt aus drei Kilogramm Rindfleisch verkauft. Foto: Schäfer

. Wer um alles in der Welt trägt rund 38 000 Sammelbilder zusammen? Alle mit unterschiedlichen Motiven. Und wieso wird dieser Schatz im Wert von einem hohen sechsstelligen Sammlerwert quasi verschenkt? Erhalten soll ihn mitsamt 15 Original-Lithographiesteinen sowie zahlreichen Werbeschildern und -artikeln die Justus-Liebig-Gesellschaft (JLG) im Liebig-Museum. Alle Sammelobjekte beziehen sich ausschließlich auf »Liebig’s Fleisch-Extract - Bestes Hilfsmittel für die Küche«.

Der Chemiker Justus Liebig (1803 - 1873) war ein Sohn der Stadt Gießen, lebte und wirkte hier 27 Jahre lang. Sowohl das Museum, in dem er damals in seinem Labor lange geforscht und gelehrt hatte, als auch die Universität, eine Straße, eine Apotheke, ein Hotel und ein Suppenfest sind nach ihm benannt. Auf dieser wird auch Liebigs Suppe kredenzt, die es allerdings nur noch in Frankreich - und zwar in Tetrapaks - zu kaufen gibt.

Nun war der Tag gekommen, an dem im Liebigmuseum der Depositalvertrag für diese Sammlung unterzeichnet werden sollte. Prof. Gerd Hamscher, Vorsitzender der JLG, informierte, dass das Liebig-Museum keine ausreichenden Archivierungs- und Raumbedingungen hat. Das betreffe Ausmaß, Temperatur und Luftfeuchtigkeit. »Mein Dank geht an die Justus-Liebig-Universität, die diese Dauerleihgabe in ihrem Archiv aufbewahren wird.« Diese Sammlung werde der Liebig-Gesellschaft bei der Vision hilfreich sein, das denkmalgeschützte Liebig-Laboratorium als Unesco-Weltkulturerbe anerkennen zu lassen.

Prof. Christoph Müller, Archivar der JLG, outete sich als ein Sammler dieser Bilder. Liebig konnte seine zahlreichen Erfindungen selbst nicht gut vermarkten. So auch das Fleischextrakt als Konzentrat, das er 1847 erfunden hatte. Als er erfuhr, dass in Südamerika Rinder nur wegen ihrem Fell geschlachtet wurden, ließ er in Uruguay eine Fabrik bauen, um deren Fleisch zu seinem Extrakt zu verarbeiten. Das dort hergestellte Produkt war nicht preisgünstig auf den europäischen Markt zu bringen. Nach einem Boom bei der Einführung sackte der Umsatz ab, weil sich der Normalbürger dessen Konsum nicht leisten konnte.

Sammelbilder als Marketingidee

Erst als die Marketingidee, Sammelbilder zum Produkt als Beigabe zu kreiieren, verwirklicht wurde, mutierte der Fleischextrakt zum Renner. Nach zuerst einfachen Motiven gab es Bilderreihen, die die Welt erklärten. Diese Produktbeigabe lief von 1772 bis Ende des 19. Jahrhunderts. Die Sammelleidenschaft wurde über die Jahrhundertwende hinaus bis zum heutigen Tage angeheizt. Noch im Vorjahr wurden für ein seltenes Sammelbild aus dem Jahr 1867 15 000 Euro von einem belgischen Sammler geboten.

Die Erben des italienstämmigen Sammlers aus Frankfurt - Alberto S. Sógaro und seine Schwester Lorena Sógaro - unterzeichneten im Liebig-Museum zusammen mit Hamscher den Depositalvertrag für die Dauerleihgabe der Sammlung. Über viele Jahre zusammengetragen hat sie der in Mailand geborene Igino Sógaro, deren Vater.

Vor acht Jahren hinterließ er die Alben nach seinem Ableben seinen beiden Kindern. Sein Sohn hob die historische Bedeutung von Liebigs Wirken in Gießen hervor und insbesondere, welche wertvolle wissenschaftliche Dimension von dieser Stadt ausging.

Seinen Vater bezeichnete er als einen Lebemann und Genießer, der privilegiert durch finanzielle und zeitliche Unabhängigkeit es sich leisten konnte, sein Leben nach seiner Leidenschaft - den Liebig-Bildern - auszurichten. »Gefühlt hat er mindestens all das aufgekauft, was der Markt hergab. Sicher auch hin und wieder darüber hinaus, indem er anderen Sammlern gewitzt und spitzbübisch mehr abluchste, als ihnen lieb war.« Auf diese Weise habe sich die Sammlung mehr und mehr komplettiert. 38 000 Bilder in ihren unterschiedlichsten Varianten, unterschiedliche Sprachen, unterschiedliche Vorderseiten mit oder ohne singuläre Merkmale - Ecke eingeknickt oder kein Makel - habe er penibel verwaltet.

»Meine Schwester und ich erinnern uns noch sehr gut und mit großer Freude an die vielen und ständigen Auslandsreisen.« So sei es mal nach Belgien, Holland, England und natürlich häufig nach Mailand gegangen. »Die Familie Sógaro war immer dort, wo die Community und die Bilder waren.«

So auf dem Rive-Gauche-Flohmarkt in Paris, bei einem Antiquitätenhändler in New York, auf einer Ausstellung in Brüssel oder auch nur zu Besuch bei einem Einzelsammler, der im Speicher einige Liebigbilder seiner Oma gefunden hatte und zu Geld machen wollte. Nur mit einem eisernen Engagement, den Mitteln, der Zeit, dem Wissen, dem Willen und der Fähigkeit zur bedingungslosen Hingabe sei diese »umfangreiche und nahezu vollständige, perfekte Kollektion« zu erklären.

Verkauf mehrfach abgelehnt

Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2016 hätten seine Schwester und er - trotz vieler Angebote im höheren sechsstelligen Bereich - stets den Verkauf kategorisch abgelehnt. »Weil wir wissen, diese Sammlung ist ein kunsthistorisches Manifest. Das ehrenvolle Werk unseres Vaters.« Es gehöre re-spektiert, gewürdigt und nicht verhökert.

An welchen anderen Ort als hier gehöre diese bedeutungsvolle Sammlung hin? Wo könnte sie ihre Strahlkraft besser entfalten? Wo besser zu wissenschaftlichen Zwecken genutzt werden? Und wo die Bilder im historischen Kontext als Teil des großen Ganzen werden? »Hier in Gießen ist ihr Zuhause.«



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