03. Juli 2025, 19:03 Uhr

In Bad Nauheimer Kita

Eltern in Sorge um Sicherheit der Tochter

Eltern eines Mädchens aus Bad Nauhei machen sich Sorgen um ihre Tochter, die von einem anderen Kind in einer Kita immer wieder gekratzt und auch gewürgt worden sein soll.
03. Juli 2025, 19:03 Uhr
AGL
Heile Welt in der Kita? Das gilt nicht immer. Zum Beispiel dann nicht, wenn ein Kind immer wieder von einem anderen Kind attackiert wird, wie es in einer Bad Nauheimer Einrichtung geschehen sein soll. SYMBOLFOTO: IMAGO

Kratzen und Würgen, vor allem solche Attacken hat ein Mädchen rund ein Jahr lang ertragen müssen. Zugefügt wurden ihm die Wunden, die seine Eltern mit Fotos und jeweiligem Datum dokumentiert haben, von einem etwa gleichaltrigen Kind in einer Bad Nauheimer Kita. So berichten es zumindest die Eltern des betroffenen Kindes. Dieser Zeitung liegen Schriftwechsel zwischen Eltern, Kita-Leitung, Stadt Bad Nauheim und Jugendamt vor. Eines vorweg: Das Problem ist gelöst, aber nicht so, wie es die Eltern eigentlich wollten.

Rat an Eltern, Kita zu wechseln

»Wir möchten unsere Tochter morgens mit dem Vertrauen im Kindergarten abgeben können, dass ihr keine körperlichen Verletzungen widerfahren und wir sie unversehrt wieder abholen können«, haben die Eltern des Mädchens im Juni vergangenen Jahres an die Kita geschrieben.

Durch alle Korrespondenzen zieht sich die Forderung der Eltern, das Verhalten des anderen Kindes nicht als altersgerecht abzutun. Vielmehr müsse man der Aufsichtspflicht gerecht werden, die beiden Kinder in der Einrichtung voneinander trennen und notfalls das kratzende und würgende Kind aus der Kita rausnehmen.

Stattdessen wurde den Eltern des Mädchens zwar Verständnis entgegengebracht, ihnen wurde aber nahegelegt, am besten einen Platz für ihre Tochter in einer anderen Kita zu suchen. Dabei sei man der Familie auch behilflich.

Einzugsermächtigung gestoppt

Für die Eltern war das lange keine Option, wochenlang brachten sie es aus Sorge vor weiteren Verletzungen nicht mehr in die Kita, sie stoppten die Einzugsermächtigung für die Kita-Gebühren, weigerten sich, das Geld zu zahlen, wenn die Unversehrtheit ihrer Tochter nicht gewährleistet werden könne.

Um das Problem besser zu verstehen, hilft ein Blick in die Korrespondenzen. So heißt es in einem Schreiben der Stadt aus dem April: »Solche Verhaltensweisen, wie Kratzen oder andere körperliche Handlungen, sehen wir grundsätzlich als entwicklungstypisches Verhalten, das im Rahmen der kindlichen Entwicklung und des sozialen Lernens auftreten kann.« Es sei wichtig, den Kindern altersgerechte Unterstützung und Begleitung anzubieten, um ihnen den Umgang mit Konflikten zu erleichtern. »Wir möchten Ihnen versichern, dass wir die Interaktionen zwischen den Kindern in unserer Einrichtung sehr genau beobachten. Unser pädagogisches Team arbeitet kontinuierlich daran, den Kindern angemessene Verhaltensweisen zu vermitteln und sie bei der Entwicklung sozialer Kompetenzen zu unterstützen. Zudem haben wir den Vorfall auch der entsprechenden Fachaufsicht gemeldet, um die Situation transparent zu begleiten und sicherzustellen, dass alle Maßnahmen im Sinne der kindlichen Entwicklung getroffen werden.«

Die Eltern des attackierten Mädchens bewerten die Übergriffe anders: »Die Darstellung, dass es sich bei wiederholten, dokumentierten Verletzungen über einen Zeitraum von nahezu einem Jahr lediglich um ›entwicklungstypisches Verhalten‹ handelt, ist aus unserer Sicht nicht nur unzureichend, sondern verkennt die Schwere und Dauer der Situation vollkommen.« Die Eltern fordern » konkrete, nachvollziehbare und dokumentierte Maßnahmen zum Schutz unserer Tochter«.

Kindeswohl sei nicht gefährdet

Vonseiten der Kita selbst heißt es am 31. März, dass die beiden Kinder »sehr schön miteinander spielen«. Konflikte seien auf der gleichen Ebene wie bei allen anderen Kindern auch. »Wenn an bestimmten Tagen gehäuft Konflikte auftreten, besprechen die Erzieher es mit beiden und wenn nötig bekommen sie eine Pause voneinander!«

In einem Schreiben der Stadt vom 30. April steht, dass »weitergehende Maßnahmen innerhalb der uns vorgegebenen Strukturen und Vorgehensweisen leider nicht möglich« seien. Die Stadt biete der Familie einen Wechsel in eine andere Einrichtung an, »wo die Betreuung und Sicherheit Ihrer Tochter aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und angepasst werden kann«.

Auf Anfrage dieser Zeitung äußert sich die Stadt unter anderem dahingehend, dass »im vorliegenden Fall weder eine Verletzung der Aufsichtspflicht noch eine Kindeswohlgefährdung vorliegt«.

Die Eltern des Mädchens haben eigenen Angaben zufolge Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Kita-Leitung und das Jugendamt gestellt. »Gleichzeitig leiten wir den gesamten Fall an das Landesjugendamt Hessen sowie an die Ombudsstelle für Kinder- und Jugendhilfe Hessen zur unabhängigen Prüfung weiter.«

Mittlerweile haben die Eltern den Kita-Platz fristlos gekündigt.

Drei Fragen an die Bad Nauheimer Diplom-Psychologin Evelyn Cheng

Bis zu welchem Grad sind Aggressionen im Kita-Alter normal und ab wann sind sie es nicht mehr?

Aggressionen im Kita-Alter sind bis zu einem gewissen Grad normal und gehören zur sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern dazu. Sie sind nicht unbedingt böswillig gemeint und sollten mit dem Alter abnehmen. Ob die aggressiven Verhaltensweisen entwicklungsangemessen sind, hängt von Art, Häufigkeit, Intensität und Kontext ab. Wenn die Aggressionen nicht nur situativ sind (z. B. Konfliktsituationen) oder wenn ein Kind beispielsweise dauerhaft starkes, destruktives Verhalten zeigt, regelmäßig andere gezielt verletzt oder keine Besserung trotz stetiger pädagogischer Unterstützung aufweist, ist es ratsam, eine Abklärung zu suchen.

Warum treten Aggressionen bei Kindern auf?

Aggressive Verhaltensweisen sind grundsätzlich Zeichen für Frustration, Überforderung, unerfüllte Bedürfnisse oder mangelnde Bewältigungsstra tegien. Die Gründe dafür sind vielfältig und mögliche Erklärungen sind unter anderem: Kommunikationsschwierigkeiten - Kinder können ihre Bedürfnisse oder Gefühle nicht adäquat ausdrücken. Achtung: Dies könnte auch auf Sprachentwicklungsverzögerungen/-störungen hinweisen. Mangelnde Bewältigungsstrategien - Kinder müssen erst lernen, ihre Emotionen zu regulieren und Konflikte angemessen zu lösen. Biologisch/entwicklungsbedingt - das Gehirn ist noch nicht voll entwickelt, jüngere Kinder haben eine geringe Frustrationstoleranz. Soziale Einflüsse - wenn Kinder in ihrem sozialen Umfeld Gewalt oder Aggressionen beobachten, übernehmen sie diese Verhaltensweisen eher selbst.

Was sollten die Eltern des aggressiven und des attackierten Kindes tun?

Eltern des aggressiven Kindes sollten in erster Linie die Ruhe bewahren und auf Bestrafungen verzichten. Stattdessen ist es wichtig, die Ursachen des aggressiven Verhaltens zu erkunden und Verständnis dafür zu zeigen. Andererseits sollten sie klare Grenzen setzen, ihr Kind dabei unterstützen, Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen und Empathie für das andere Kind zu entwickeln. Sie können gemeinsam mit dem Kind nach angemessenen Ausdrucksformen für Wut und alternative Bewältigungsstrategien suchen. Sollte das aggressive Verhalten wiederholt auftreten oder sich intensivieren, ist es ratsam, fachliche Beratung in Anspruch zu nehmen.

Eltern des attackierten Kindes sollten das Geschehene empathisch aufnehmen und mitfühlend reagieren. Sie können dem Kind helfen, seine Gefühle zu benennen und seine Emotionen zu stärken, was ihm Sicherheit und Orientierung gibt. Darüber hinaus sollten sie gemeinsam mit dem Kind Handlungsmöglichkeiten besprechen, wie es zukünftig in ähnlichen Situationen reagieren kann, um sich selbst zu schützen und Konflikte zu deeskalieren.



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