Die Sonne strahlt durch die Fenster der Pflegestation Graubert in Oppershofen. Fürsorglich begleitet durch ihre Enkelin Meike Kunz, kommt die 98-jährige Else-Marie Textor in das Besprechungszimmer. Bilder hängen an den apricotfarbenen Wänden, die Atmosphäre ist freundlich und ruhig.
»Es ist ja schon ewig her«, sagt die zweifache Mutter, dreifache Großmutter und zweifache Uroma. Zunächst ist sie etwas zögerlich beim Interview und möchte noch einmal hören, was von ihr erbeten wird. Es soll um ihre spannende Geschichte gehen, die sich um Ibn Saud dreht, der 1959 in Bad Nauheim weilte.
Erinnerungen auch an Karl Textor
Der saudi-arabische König ging seinerzeit mit ihrem Mann, dem damaligen Oberförster von Rockenberg, auf die Jagd. Der Name des Gatten war Karl Textor, seit vielen Jahren ist er verstorben. Die 42-jährige Enkelin hatte angeregt, diese besondere Erinnerung festzuhalten. Meike wiederum war von Freunden dazu ermuntert worden. Vor Else-Marie Textor stehen zwei Kaffeemühlen auf dem Tisch. Was es damit auf sich hat - auch das wird sie erzählen.
Wie kam es zu der Begegnung mit dem König? Und wie erlebte sie ihn?
»Ibn Saud wollte während seines Deutschland-Aufenthalts gerne einmal auf die Jagd gehen«, erzählt sie. Durch Vermittlung eines Herrn Clemens aus Wiesbaden kam der Kontakt mit ihrem Mann zustande, dem Forstamtmann Textor, dessen Vater Jagdpächter in Leihgestern war.
Gemeinsam begab man sich dorthin, wo Ibn Saud im dichten Wald vom Hochsitz aus ein Reh erlegte. »Und dann sind sie heimgefahren nach Rockenberg ins Forsthaus, und da habe ich den Herren eine Tasse Kaffee gemacht. Ich setzte mich auf die Holzkiste in der Küche, klemmte die Kaffeemühle zwischen meine Beine und habe den Kaffee gemahlen.«
Während die Herren das Getränk genossen, sagte Karl Textor zu König Saud: »Jetzt macht Ihnen meine Frau die Leber vom Reh. Das gehört dem Schützen.« Sie dämpfte die Leber in Butter und weiß auch noch, auf welche Art: »Mit einer Zwiebel und einer Apfelscheibe.«
Ihr Mann servierte ihm den Teller und sagte: »Das ist alleine für Sie.« Der König wollte teilen, worauf Textor nochmals bekräftigte, die Leber sei für den Schützen. Ibn Saud sagte mit einem Augenzwinkern zu ihm: »Ich lade Sie drei Wochen nach Saudi-Arabien ein, und wenn Sie einen Elefanten schießen, müssen Sie die Leber auch allein essen.«
Die kleine Gesellschaft verzehrte das Gericht daraufhin zusammen und aß ein Stück Brot dazu. »Er war sehr freundlich, ich hatte keine Scheu vor ihm. Zu der Zeit hatte man vor hohen Herren etwas Angst, aber vor ihm nicht.« Auch wenn es für sie nicht einfach gewesen sei, für einen König zu kochen.
»Er saß auf einem gewöhnlichen Küchenstuhl in der kleinen Forsthausküche, und seine Leber hat ihm geschmeckt«, blickt sie zurück. Die alte Dame lacht verschmitzt, nach und nach fallen ihr immer mehr Einzelheiten ein. Gekommen waren Ibn Saud und seine Begleiter mit zwei luxuriösen Autos, sie vermutet, mit Rolls Royce.
Der erste und letzte Rolls Royce
»In Rockenberg war das wie ein Weltereignis. Das war wahrscheinlich der erste und der letzte Rolls Royce, der je in Rockenberg war«, nimmt sie an. Nach Saudi-Arabien zu reisen, erschien dem Ehepaar allerdings als undenkbar. »Das war für uns damals zu hochstehend. Wir haben uns ein bisschen zu klein dafür gefühlt«, erzählt sie mit einem Schmunzeln.
Tags darauf erlebte sie eine schöne Überraschung: Ibn Saud ließ ihr eine elektrische Kaffeemühle bringen, da er sie beim Hantieren mit der Kurbelmühle beobachtet hatte.
Bevor die Besucher wieder von Bad Nauheim abreisten, kamen sie noch einmal zum Abschied.
»Ich habe ein Armband bekommen«, erzählt die Seniorin lächelnd. Das gute Stück hat sie noch aufbewahrt, es zeigt auf mehreren Gliedern kleine Bilder aus Saudi-Arabien.
Zum Schluss des Gesprächs mit dieser Zeitung sagt Else-Marie Textor, dass es ihr Spaß gemacht habe, die Geschichte von damals zu erzählen. Es sei auch wichtig gewesen, denn ihre Erinnerung ist ein unvergesslicher Beitrag zur hiesigen Lokalgeschichte und macht das aufgeschlossene Wesen des berühmten Gastes in der Wetterau spürbar.