13. März 2019, 10:03 Uhr

100 Jahre Klassische Moderne

Auf den Spuren des Bauhauses in der Wetterau

Das Bauhaus feiert 100. Geburtstag. Auch in der Wetterau findet man Beispiele für diesen Baustil. Architekt Michael Bender, Absolvent der Bauhaus-Universität Dessau, lädt zum Rundgang ein.
13. März 2019, 10:03 Uhr
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Von Jürgen Wagner
Der Architekt Michael Bender auf einem Balkon des Dessauer Bauhaus-Komplexes. (Foto: Verena Berlich)

Bauhaus ist mehr als nur der Freischwingerstuhl ohne Hinterbeine. Wer von Bauhaus spricht, meint das Zusammenspiel von Architektur, Design und Handwerk. Das Bauhaus gilt als Versuchslabor für innovative Ideen. Michael Bender spricht lieber von der Architektur der Klassischen Moderne; gängig sind auch Begriffe wie Funktionalismus oder Neue Sachlichkeit. Die Klassische Moderne zeigt sich in Bad Nauheim besonders an einem Gebäude: der Synagoge in der Karlstraße. Architekt Richard Kaufmann, der an der »Weißen Stadt« in Tel Aviv mitarbeitete, entwarf das Gebäude, das sich deutlich von den Gründerzeit-Villen der Nachbarschaft absetzt. Bender: »Flachdächer waren vorher nur für Fabriken denkbar.«

Die Fassade wird von hohen Fenstern in »liegenden Formaten« durchbrochen, während in der Nachbarschaft »Galgenfenster« mit gekreuzten Streben dominieren. Auf Fassadenschmuck wurde bis auf zwei Davidsterne verzichtet. Der Blick konzentriert sich auf den Portikus aus Steinputz. Typisch Bauhaus ist auch der fast quadratische Balkon, der seitwärts aus der Fassade ragt.

Die roten Rundbogenfenster erinnern daran, dass in der Klassischen Moderne nicht alles nur schwarz, weiß oder grau war. Bender: »Die drei Grundfarben Rot, Grün und Blau dienen meist im Inneren der Gebäude dazu, Stimmungen zu verstärken.« Marcel Breuer, Erfinder des Schwingstuhls, habe für den Maler Georg Muche gar ein schwarzes Schlafzimmer entworfen. Muche bekam Alpträume, betrat das Zimmer nie wieder.

Die Funktion bestimmt die Form

Der Bau der Synagoge in den Jahren 1927 bis 1929 war ein ästhetisches Wagnis, sagt Bender: »Die Kurstadt wollte ihren Gästen zeigen, dass sie architektonisch auf der Höhe der Zeit ist.« Ein anderes Beispiel für die gleiche Formensprache ist die Gedenkstätte am Fuße des Johannisbergs. Obwohl 1933 gebaut, handelt es sich nicht um NS-Monumentalarchitektur. Bender: »Der Architekt August Metzger hat drei Kuben angeordnet und in ihnen mehrere Funktionen vereint: Wasserbehälter, Ehrenmal und Aussichtspunkt, ähnlich wie beim Friedberger Wartturm.« Der Schriftzug »Dem deutschen Soldaten« orientiert sich am Schriftzug »Dem deutschen Volke« am Reichstag in Berlin, den Bauhaus-Architekt Peter Behrens entwarf.

Behrens baute auch die Turbinenhalle der AEG in Berlin, die weltweit zu den bekanntesten Bauten der Industriearchitektur zählt. Sie stand Pate beim Bau der Fabrik der Berlin-Anhaltischen Maschinenbau AG (BAMAG)/Meguin AG in Butzbach. Die Längsseite besticht durch repräsentativen Gestus: Zehn Gruppen von je vier hohen Fensterbahnen sorgen für großzügige Lichtdurchflutung. Bender: »Licht, Luft und Sonne sollten in die Werkshallen eindringen.«

Am Butzbacher Bahnhof steht die Schuhfabrik Rumpf. Typisch hier die von zwei Erschließungstürmen gerahmte Rasterfassade mit viel Glas. Funktionalität bestimmt die Gestaltung. Ein weiteres Industriedenkmal jener Epoche findet sich in Niddatal-Assenheim: das in den 1920er-Jahren errichtete Getreide-Silo der Walzenmühle. Bender: »Der 58 Meter hohe Turm war das zweitgrößte Silogebäude Europas.«

Das Erbe der Klassischen Moderne

Die Klassische Moderne endete 1933, doch sie setzt heute noch Akzente. Etwa in der Hügelstraße 5 in Bad Nauheim. Die Villa, um 1960 von Prof. Johannes P. Hölzinger gebaut, weise starke Bezüge zur »Villa Savoye« bei Paris auf, die Le Corbusier um 1930 entwarf. Hervorstechend sind Quadratur, Flachdach, Sichtbeton, die organische Form des Treppenhauses und die große Fensterfront. Direkt daneben zeigen drei moderne Villen (Architekt: Matthias Kölsch/Friedberg), wie sich Tradition heute fortsetzen lässt.

Michael Bender setzt diese Tradition auch auf andere Art um: Im Mai werden im Friedberger Burggarten wieder Hochbeete aufgebaut. Bender und seine Partnerin Verena Berlich haben sich erneut beworben. Möhren, Rüben und Kräuter sollen in Form der drei klassischen Elemente Quadrat, Kreis und Dreieck wachsen. »Der Mensch will die Natur beherrschen. Man macht dabei aber die Erfahrung, dass die Natur letztlich macht, was sie will«, sagt Bender schmunzelnd.



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