In ihrem neuen Buch »Evangelio« beschäftigen Sie sich mit Martin Luther. Über den Reformator wurde ja schon viel geschrieben. Warum ein weiteres Luther-Buch?
Feridun Zaimoglu: Es ist ein Stoff, der mich nicht mehr in Ruhe gelassen hat. Schon immer. Seit 40 Jahren beschäftige ich mich mit dem Christentum. Luther ist für mich ein Vorbild. Ein Vorbild in Sachen Sprachmacht und Wortgewalt.
Warum geht es in »Evangelio«?
Zaimoglu: Es ist bewusst keine Biografie. Es geht um das Jahr, das Martin Luther auf der Wartburg verbracht hat und dort an der Übersetzung der Heiligen Schrift gearbeitet hat. Für mich der eigentliche Beginn der Reformation.
Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?
Zaimoglu: Ich halte mich an die historischen Fakten. Dabei beziehe ich mich auf die Selbstauskünfte von Martin Luther. Ich habe seine Briefe gelesen und recherchiert, was er selber gesagt hat. Daraus habe ich einen Roman entwickelt.
Steckt Kritik in »Evangelio«?
Zaimoglu: Ich möchte ein Bild von Martin Luther vermitteln. Aber ich möchte nicht klüger sein und scheinen, als die Person, über die ich schreibe. Im Buch gibt es darum gar keine Ironie.
Die Veröffentlichung des Buches hätte ja nicht besser sein können, als im Jahr des 500. Reformationsjubiläums, oder?
Zaimoglu: Es war tatsächlich eine glückliche Fügung. Durch die Sprache, die ich im Buch verwende, ging eine intensive Recherche voraus. Es war viel Arbeit. Ich habe »Evangelio« innerhalb von drei Monaten wie im Fieberwahn geschrieben. Am Jubiläum der Reformation hing das gar nicht.
Ihre Eltern haben türkische Wurzen, kamen 1965 nach Deutschland. Dennoch sagen Sie, dass Sie sich seit 40 Jahren mit dem Christentum befassen. Wie kam das?
Zaimoglu: Meinen Eltern war es wichtig, mich und meine Schwester in keine ethnische Nische zu drängen. Wir hatten von Anfang an nur deutsche Freunde. Immer wurden Bücher aus der Stadtbücherei ausgeliehen, um Deutsch zu lernen. Das war das Wichtigste.
Deutsch hielten ihre Eltern also für den Schlüssel zum Erfolg?
Zaimoglu: Genau. Sie haben immer gesagt, ihr seid die kommenden Deutschen, die ihre Muttersprache noch lernen müssen. Das sagten sie immer, denn meine Mutter hat mich als Säugling sozusagen nach Deutschland hineingetragen. Ich haben große Freude, hier zu leben. Es ist mein Land. Hier schätze ich die Freiheit, die Möglichkeiten. Deutschland hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin.
Merken Sie in Zeiten der AfD-Wahlsiege, dass sich Deutschland verändert?
Zaimoglu: Diese Wahlsiege machen mir zumindest keine Angst. Es kommt nicht überraschend, dass diese Partei so abgeschnitten hat. Man darf auch nicht alle über einen Kamm scheren. Ich war mit vielen AfD-Wählern im Gespräch. Sie haben das Gefühl, dass viele Dinge von der Politik über ihre Köpfe hinweg entscheiden wurden. Viele sind verunsichert und haben aus Wut oder Protest die AfD gewählt.
Wie sollte man mit dieser Stimmung oder Frustration einiger umgehen?
Zaimoglu: In jedem Fall nicht den Teufel an die Wand malen. Es geht darum, zu schauen, was für Fehler gemacht wurden und jetzt Lösungen zu finden.
Bleiben wir bei der Politik. Wie oft müssen Sie sich zur Situation in der Türkei oder dem Verhältnis Deutschland/Türkei äußern?
Zaimoglu: Ich wurde tatsächlich viel angesprochen. Ich habe viel gesagt und mich eindeutig positioniert. Es ist natürlich leicht, einen unfreien Staat zu kritisieren, wenn man in einer sicheren Situation lebt. Ich war sehr kritisch und habe mich nie zurückgehalten. Aber ich habe alles gesagt und möchte mich nicht wiederholen.
Sie sind ein reger Schriftsteller und schreiben Theaterstücke. Sie sind außerdem Künstler. Wie sind Sie dazu gekommen?
Zaimoglu: Ursprünglich komme ich von der Malerei. Es war immer mein Traum. Ich habe nie aufgehört, zu malen. Mittlerweile mache ich Bilder, die zu meinen Texten und Bücher passen, an denen ich gerade arbeite.
Ist das auch bei »Evangelio« so?
Zaimoglu: Nein. Da musste ich eine Pause einlegen. Es war, wie gesagt, eine sehr intensive Recherche. Ich musste viel lesen und war in Eisenach vor Ort. Neben dem Roman habe ich noch ein Luther-Theaterstück geschrieben. Es spielt allerdings 20 Jahre nach den Ereignissen auf der Wartburg.
Bei so viel Schaffenskraft. Wann schlafen Sie?
Zaimoglu: Dazu finde ich noch genug Zeit. Es ist aber wirklich so, dass ich ständig Arbeit mitnehme, ich mache viele Notizen auch unterwegs. Einen Leerlauf gibt es nie.
Feridoun Zaimoglu live
Lesung in Friedberg
Feridoun Zaimoglu stellt seinen Roman »Evangelio« am Montag, 20. November, um 20 Uhr im Bibliothekszentrum Klosterbau vor. Karten gibt es bei den Veranstaltern von »Friedberg lässt lesen«, der Buchhandlung Bindernagel, der Ovag, dem Bibliothekszentrum Klosterbau und der Sparkasse Oberhessen oder unter der Telefonnummer 0 60 31/68 48 11 13.