05. April 2018, 10:04 Uhr

Kindermode

Von Bad Nauheim in die Vogue

Die Kindermodemarke »Lüelütt« ist auf der ganzen Welt angesagt. Alles, was für Vogue und co. produziert wird, verpackt Cordula Schilz in ihrem kleinen Laden in Bad Nauheim.
05. April 2018, 10:04 Uhr
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Von Valerie Pfitzner

Manchmal, sagt Cordula Schilz, kommen Kunden in den Laden und können es nicht fassen: »DAS hier ist Lüelütt? Mehr gibt’s nicht?« Ja, das ist Lüelütt. Und nein, mehr gibt es nicht. Keine Fabrik, in der Dutzende Näherinnen sitzen, kein Großraumbüro mit Marketing-Experten und Designer-Teams. Es gibt Cordula Schilz und es gibt Ahlem Boukhdir. Letztere näht von früh bis spät, die Chefin macht alles andere: Sie designt, sie kreiert, sie kauft ein, sie stöbert, sie präsentiert, sie organisiert, sie verkauft, sie vermarktet. Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist Lüelütt alles andere als 08/15-Kleinstadt-Klamotte, Lüelütt gehört zu den angesagtesten Kindermodemarken der Welt. Aus ihrem wenige Quadratmeter großen Laden in der Bad Nauheimer Altstadt versendet Cordula Schilz Pakete nach Japan, Korea, Australien, Spanien, Schweden, in die ganze Welt. Dabei hatte alles mit einer simplen Idee angefangen.

Wenn Du es nicht kaufen kannst, dann musst Du es halt selber machen

Cordula Schilz

»Mädchensachen waren schon immer meins«, sagt Schilz. Sie ist blond, schlank, modern gekleidet. Als im Jahr 2009 ihre Tochter auf die Welt kam, freute sie sich: »Ich wollte immer Mädchenklamotten einkaufen, da gab es so viele schöne Sachen.« Als es dann so weit war und die Usingerin zum Shoppen loszog, kam die Ernüchterung: »So schön waren die Sachen dann irgendwie doch nicht: Zu bunt, zu billig, zu schlecht verarbeitet.« Im Zuge des immer größer werdenden DIY-Trends (»Do it yourself«, deutsch: Mach es selbst) sei ihr das erste Mal der Gedanke gekommen: »Wenn Du es nicht kaufen kannst, dann musst Du es halt selber machen.« Ideen und kreative Energie habe die studierte Ökotrophologin schon immer gehabt. Nur gab es ein Problem: Cordula Schilz konnte nicht nähen.

Also besuchte sie drei Jahre lang Nähkurse. Ihr erstes Kleidungsstück: Eine Latzhose aus Jeansresten für ihre Tochter. Mit der Zeit bekam sie immer mehr Ideen, entwickelte Designs, wurde sicherer. »Irgendwann haben meine Freundinnen angefangen zu fragen, wo ich die Sachen herhabe. Also habe ich begonnen, auch für ihre Kinder zu nähen.« Dann der Schlüsselmoment: Cordula Schilz steht in einem Kindermodeladen in Bad Homburg, als die Verkäuferin sie begeistert fragt, welches Label die Klamotten ihrer Tochter haben. »Das war der erste Laden, den ich mit Lüelütt beliefert habe.« Bevor es so weit war, nahm Schilz noch einen kleinen Umweg: Über einen Online-Marktplatz für Selbstgemachtes erstellte sie eine Händlerseite. »Ich habe aber schnell gemerkt, dass ich dieses Preis-Dumping dort nicht gut finde und habe meine eigene Homepage gegründet.«

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Was sie wollte, was ihr Ziel war, wusste Cordula Schilz von Anfang an genau: »Ich wollte Teile kreiern, die die wenigen sind, die im Schrank bleiben. Nicht solche, die einem Trend entsprechen und nach einer Saison nicht zu gebrauchen sind.« Knallige Farben, Applikationen, Polyesterstoffe – davon hatte Cordula Schilz genug. Sie wollte sich abheben. Im Design, vor allem aber auch in der Herstellung. »Alle Stoffe, die wir verwenden, sind nach GOTS-Kriterien hergestellt. Das ist noch mal ein riesiger Unterschied zu ›Organic‹, das schon draufstehen darf, wenn nur fünf Prozent der

Baumwolle aus biologischem Anbau stammen. Unsere tun das zu hundert Prozent.« Konkret bedeute das Siegel: In der Herstellung werden keine Giftstoffe, kein Dünger, keine Pestizide verwendet. Welche Zielgruppe darauf besonderen Wert lege, habe sie überrascht: »Auf dem asiatischen Markt ist so was unheimlich wichtig. Dort ist ›Made in Germany‹ auch einfach noch viel wert.« In Europa hingegen sei ihrer Erfahrung nach eher das Design relevant.

Zuerst wollte ich die Mail von Vogue löschen, weil ich dachte, es wäre Spam

Cordula Schilz

Schnell nach der Gründung des eigenen Labels war die Nachfrage so groß, dass Cordula Schilz Unterstützung brauchte. Da kam ihr der Zufall zur Hilfe: Eine Bekannte empfahl ihre Haushälterin, die sei eigentlich Schneiderin und hätte bestimmt Freude an der Arbeit. Und sie hatte. Seitdem ist Ahlem Boukhdir Schneiderin bei Lüelütt. Das ist drei Jahre her.

Inzwischen waren die Kinderklamotten aus Cordula Schilz’ Feder schon dreimal in der spanischen Vogue Kids zu sehen. An den Moment, als die Redakteurin des Modemagazins zum ersten Mal angefragt hat, erinnet sich Cordula Schilz genau. »Da war eine E-Mail in meinem Postfach mit dem Betreff ›Request Vogue Samples‹. Zuerst wollte ich die Mail löschen, weil ich dachte, es wäre Spam. Bis ich verstanden habe, dass das ernst gemeint ist.« Die selbst entworfenen Sachen in der spanischen Vogue, was für ein Gefühl! Doch direkt nach der Freude kam der Stress. Denn: Die Sachen sollten schon zwei Tage später für das Shooting in Madrid bereitliegen. Und es waren nicht alle Teile in der gewünschten Größe vorrätig. »Also haben Ahlem und ich die Nacht durchgemacht und genäht, gebügelt und verpackt.« Doch die Arbeit hatte sich gelohnt: Cordula Schilz war begeistert vom Ergebnis. Ihre Kinderklamotten wurden für eine mehrseitige Fotostrecke zum Motto »Tom Sawyer und Huckleberry Finn« zu sehen. »Einmal ist es natürlich toll zu sehen, wie die Stylisten die Teile einsetzen, da bekommt man noch einmal ganz neue Ideen«, sagt Schilz. »Aber dass Lüelütt da neben Labels wie Gucci, Massimo Dutti oder Mango steht, das ist schon echt der Hammer.«

 

Anfrage von »Game of Thrones«-Star

Immer wieder melden sich Blogger, um nach »Samples« zu fragen, sagt Cordula Schilz. So etwas sei Gold wert: »Wenn Influencer meine Sachen auf ihrem Account präsentieren, sehen das Fotografen, Magazine, Stylisten und Lüelütt wird bekannter.« Am meisten umgehauen habe sie eine Anfrage: »Die Game-of-Thrones-Darstellerin Carice van Houten hat auf ihrem Account etwas von uns gezeigt. Das war natürlich ein tolles Gefühl.« Schaut man auf ihrem Instagram Account nach, sieht man ein Bild, das die Schauspielerin im Mai 2017 gepostet hat. Darauf zu sehen: eine braune Latzhose von Lüelütt mit der Bildunterschrift »Look of the day«.

Ihren Laden mit gläserner Produktionsstätte in der Burgstraße 23 hat Cordula Schilz im Januar 2017 eröffnet. »Es ging nicht in erster Linie darum, ein Geschäft zu eröffnen, sondern eher darum, einen Ort zu haben, an dem wir die Teile herstellen können.« Dass sie sich für Bad Nauheim als Standort entschieden hat, liegt zum einen daran, dass ihre Kinder hier zur Schule gehen, aber nicht nur: »Ich war vom ersten Moment an verliebt in Bad Nauheim und ich finde, Lüelütt passt super zum Jugendstil, zum ganzen Flair der Stadt.«

Ihre jetzige Kollektion hat Cordula Schilz Wannsee genannt. »Ich glaube das kam, weil ich das Lied von den Toten Hosen gehört habe. Plötzlich hatte ich ein Bild vor Augen.« So sei das immer: Irgendetwas – ein Film, ein Geruch, ein Lied – löse ein bestimmtes Gefühl in ihr aus, Cordula Schilz greift sich Papier und Stift und legt los: »Ich versuche dann, genau dieses Gefühl in die Entwürfe zu packen.« Das zu tun, erfülle sie auf eine ganz besondere Art und Weise: »Die Klamotten sind ein Produkt dessen, was ich von innen fühle. Das bin ich.«

Info

Wo finde ich Lüelütt?

Das Ladengeschäft mit gläserner Produktion ist zu finden in der Burgstraße 21 in Bad Nauheim. Wer lieber vom PC aus schauen möchte, kann die Homepage besuchen unter www.lüelütt.de. Im Online-Shop kann man die Lieblingsteile direkt in den Warenkorb packen und bestellen. Auch auf Instagram ist Lüelütt vertreten – zu finden unter dem Namen @lueeluett.

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