29. März 2018, 16:00 Uhr

Gießener Köpfe 2018

Gießener Köpfe: Tess Wiley im Porträt

Freunde von Akustikgitarrenmusik und Singer-Songwriterinnen-Flair kennen sie bereits, doch auch auf anderen Gießener Bühnen ist sie zu Hause. Tess Wiley, Cowboystiefelträgerin und Multitalent, im Porträt.
29. März 2018, 16:00 Uhr
Philipp_Keßler
Von Philipp Keßler
Gießener Köpfe 2018: Elisabeth Roth aka. Tess Wiley (Foto: Schepp)

Im Interview spricht die 43-jährige US-Amerikanerin Elizabeth Roth aka. Tess Wiley über Musik - ihr Leben als Musikerin, ihr Kindheit als Tochter eines berühmten Vaters und die Frage, inwieweit man seine Talente an die eigenen Kinder vererbt. Aber eben auch über ihre Heimaten - denn eine ist natürlich Texas, die andere aber ebenso selbstverständlich Gießen.

 

MUSIKERLEBEN

Wie sind Sie dazu gekommen, Musik zu Ihrem Beruf zu machen?
Mein Vater war Musiker. Musik war immer Beruf, nie Hobby. Das ist etwas, das ich auch anstrebe. Aber es macht mir auch etwas Angst, denn es ist sehr unsicher. Deshalb spiele ich neben meiner eigenen Musik auch bei anderen Musikern mit und unterrichte privat und in einer Musikschule. Aber ich bin immer hin- und hergerissen, weil es natürlich sehr anstrengend ist – gerade weil ich auch noch Mutter zweier Söhne bin. Irgendwie hat aber bisher alles geklappt. Deshalb bin ich zunehmend entspannter.

Wie hat sich das mit dem Unterrichten entwickelt?
Ich habe immer Sendungen im Fernsehen auf Deutsch geschaut, die ich aus Amerika kannte, um die Sprache zu lernen. Und immer wenn es etwa bei den Simpsons Lieder gab, dann wurde entweder das Original mit Untertiteln gespielt oder die Sprecher mussten singen – und das war oft furchtbar. Deshalb habe ich gedacht, dass ich daran etwas ändern muss.

Wie lässt sich ein Musikerleben mit Familie vereinbaren?
Ich muss immer nach dem Geld schauen und außerdem zusehen, dass ich für meine Kinder da sein kann. Ich bin da etwas vorsichtig und setze nicht alles auf Risiko. Ich arbeite gerade an einem Album, aber ich werde auch mit anderen Musikern wie Stopprock und Dietrich Faber bald wieder etwas aufnehmen und ein paar Konzerte spielen. Ich muss mein Leben einfach mehr planen als andere, damit ich nicht so viel vom täglichen Leben meiner beiden Söhne verpasse. Sie sind aber glücklicherweise unkompliziert.

Ich muss mein Leben einfach mehr planen als andere, damit ich nicht so viel vom täglichen Leben meiner beiden Söhne verpasse

Tess Wiley

Geben Sie Ihr musikalisches Talent auch an Ihre Kinder weiter?
Ich will meine Kinder nicht dazu zwingen, auch wenn sie beide talentiert sind. Als ich ein Kind war, haben alle Leute zu mir immer gesagt, dass ich genau wie mein Vater bin – auch weil ich gesungen habe, bevor ich reden konnte. Aber manchmal frage ich mich, ob es das ist, was ich wirklich werden wollte. Im Nachhinein fühle ich mich früher etwas fremdbestimmt. Erst jetzt habe ich das Gefühl, dass ich das mache, was ich wirklich will.

Ist ein Leben als Musikerin immer Ihr Traumberuf gewesen?
Es gibt viele Dinge, die ich gerne mal gemacht hätte. Aber dann weiß ich nicht, ob ich sie leidenschaftlich als Beruf machen könnte. Ich konnte mir zum Beispiel vorstellen, Gärtnerei und Landschaftsarchitektur zu machen oder Anwältin zu sein, denn ich habe den Drang, Leute zu beschützen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass ich dafür nicht hart genug wäre (lacht). Ich hatte nie den Wunsch, einen Beruf zu haben, der besonders viel Geld bringt. Auch als populäre Musikerin kann man viel Geld verdienen, aber selbst das würde ich nicht wollen. Weniger Geld hält einen kreativ, und ich komme damit gut klar. Ich habe nicht so hohe Ansprüche.

Studieren in Gießen

HEIMAT

Was ist für Sie Heimat?
Ich bin in Texas geboren und habe dort die ersten zehn Jahre meines Lebens gewohnt. Dann sind wir ein paar Jahre umhergezogen, denn mein Vater war als Musiker viel unterwegs. Seit fast 20 Jahren wohne ich nun in Gießen. Das ist die längste Zeit, die ich je an einem Ort verbracht habe. Gießen ist also so etwas wie meine Heimat. Dabei war das gar nicht geplant. Der Plan war, dass ich hier meinen Mann heirate, wir ein paar Jahre bleiben, ich die Sprache lerne, und wir dannzurück nach Amerika gehen. Aber das hatte ich leider nicht schwarz auf weiß (lacht).

Wie war es für Sie, als Sie nach Gießen gekommen sind?
Damals habe ich Witze gemacht, dass die Beatles auch erst nach Deutschland gehen mussten, um richtig erfolgreich zu werden. Ich dachte anfangs: Wo bin ich hier gelandet? Gießen war damals echt furchtbar. Ich bin im Oktober hergekommen und ich könnte schwören, dass es in den ersten sechs Monaten nur genieselt hat. Es dauerte viele Jahre, bis ich mich damit abgefunden hatte, hier zu wohnen. Andererseits traf ich auf Gleichgesinnte und fühlte mich endlich verstanden. Zum Beispiel bin ich schon immer sehr umweltbewusst gewesen und habe meinen Brüdern immer gesagt, dass sie das Wasser ausmachen sollen, wenn sie sich die Zähne putzen. Das gleiche gilt für diese krasse Waffenkultur.

In Deutschland ist man als Frau etwas selbstbestimmter und selbstbewusster

Tess Wiley

Vermissen Sie Texas?
Schon. Mit meinen Söhnen fliege ich ungefähr alle zwei Jahre nach Texas. Das sind rund 3000 Euro nur für die Flüge. Das habe ich gerade neulich erst gebucht und irgendwie hat es mich traurig gemacht. Aber dann war ein paar Tage später der Amoklauf in Florida und dann habe ich gedacht: Wie gut, dass wir hier sind.

Was haben Sie von den Deutschen inzwischen übernommen?
Ansagen machen. Gerade in den Südstaaten sind die Menschen oft aufgesetzt freundlich und lächeln dich an, auch wenn sie dich blöd finden oder sich über etwas aufregen. Sie würden dir das aber nie sagen, auch wenn es dir guttun würde. Ich mache heute einfach mein Ding, auch wenn ich so erzogen wurde, dass man als Mädchen immer höflich und nicht so wild ist. In Deutschland ist man als Frau etwas selbstbestimmter und selbstbewusster.

Und was fehlt Ihnen aus Amerika?
Mehr warmes Wetter (lacht). Eigentlich ist es in Texas viel zu heiß. Wir fliegen immer im Sommer dorthin, was bescheuert ist, aber sonst können wir nicht so lange bleiben. Trotz allem versuche ich, dann viel draußen zu sitzen, so als könnte ich die Hitze irgendwo speichern. Aber Deutschland hat viele Vorteile, außerdem wohnen mein Ex-Mann und seine Eltern hier, sodass ich alleine wegen der Kinder hier bleibe. Und Gießen wird ja wirklich besser (lacht).

Info

Die Serie Gießener Köpfe

Den kenne ich doch irgendwoher?, werden Sie vielleicht über unseren Interviewpartner denken. Gut möglich, denn diese Gießener Köpfe prägen das Stadtbild, die lokale Kulturszene oder die Bildungslandschaft. Unser Fotograf Oliver Schepp hat acht Gießenerinnen und Gießener ins Rampenlicht gerückt. Und die jungen Journalistinnen und Journalisten vom GAZ-Magazin Streifzug haben mit ihnen über zwei oft ganz unterschiedliche Themen geplaudert. Alle Interviews mit großen Portätfotos gibt's in der Streifzug Sonderausgabe April 2018 an allen bekannten Vergabestellen und in unserer Geschäftsstelle in der Marburger Straße 20.

 

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