Die ganz großen Auftritte alleine vor großem Publikum sind nicht seins, dennoch ist Christoph Koerber Musiker geworden, genauer gesagt Kirchenmusiker. Der 49-Jährige arbeitet in der Gießener Johanneskirche und ist damit einfach ein "Kopf" der Stadt. Im Interview verrät er, wie er zu diesem seltenen Beruf kam, welche Rolle Musik in seinem Leben spielt und warum er gerne in der Politik in Sachen Kultur und Bildung einiges verändern würde.
KIRCHENKLÄNGE
Was müssen Sie in Ihrem Job als Kantor der Johanneskirche tun?
Ich bin Kirchenmusiker, also habe ich die Orgeldienste in den Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen. Dazu habe ich Chöre und Ensembles, mit denen ich Konzerte oder Auftritte vorbereite. Da ist viel Organisation dabei, wie zusätzliche Musiker engagieren, das Programmheft gestalten und so etwas. Ich habe außerdem 2003 einen Kinderchor gegründet, der relativ schnell eingeschlagen ist. Inzwischen habe ich 100 Kinder in vier verschiedenen Altersgruppen. Das macht mir wahnsinnig Spaß.
Wie sind Sie zur Kirchenmusik gekommen?
Angefangen hab ich ganz klassisch mit Blockflöte in der zweiten Klasse. Danach kam Posaunenchor, dann Geige im Jugendorchester. Mit zwölf Jahren habe ich mit Klavier angefangen, dann an der Orgel. Im Studium war es für mich aber ausgeschlossen, dass ich so eine Stelle, wie ich sie jetzt habe, einmal haben möchte. Ich hatte es aufgenommen, weil ich unbedingt etwas mit Musik machen wollte und Orgel spielen war eben das, was ich gut konnte.
Ich habe einen der schönsten Berufe, die man haben kann – ich darf selbstbestimmt Musik machen
Christoph Koerber
Welche Fähigkeiten müssen Sie neben dem Musikalischen in Ihrem Beruf noch haben?
Das Pädagogische spielt eine große Rolle bei Chören, Ensembles und Instrumentalschülern. Das mache ich gerne, weil ich von Sachen erzähle, die mir wichtig sind. Ich finde es aber nach wie vor anstrengend, wenn ich in einer Chorprobe 80 Leute dazu bringen muss, etwas zu schaffen, was sie alleine nicht können. Sie sind müde von der Arbeit und wollen einen netten Abend, während ich ihnen ein Ergebnis abringen will, was einen künstlerischen Wert hat. Das ist viel Verantwortung und viel Psychologie.
Wie ist es, einen so seltenen Beruf zu haben?
Es gibt in Gießen nur drei Leute, die denselben Beruf haben. Und selbst das ist für so eine kleine Stadt schon ungewöhnlich. Da ist man schon etwas einsam, zumal viele gar nicht wissen, dass es den Beruf überhaupt gibt. Selbst als Kirchgänger nimmt man ja zunächst einmal nur wahr, dass jemand Orgel spielt. Ich finde die Vielseitigkeit besonders schön. Ich habe schon in meiner Jugend alles ein bisschen gemacht, aber nichts so richtig intensiv.
Welchen Stellenwert hat Musik in Ihrem Leben?
Musik bedeutet mir sehr viel. Ich finde, ich habe in diesem Zusammenhang einen der schönsten Berufe, die man haben kann – ich darf selbstbestimmt Musik machen. Musik begleitet mich mein ganzes Leben. Meinen macht es ebenfalls vier Kindern Spaß, auch wenn wir sie anfangs – wie alle anderen Eltern auch – zur Musik hingeschoben und diverse Krisen miterlebt haben. Ich gehe in meiner Freizeit gerne in Konzerte, mache gerne zu Hause nur für mich Musik und sowieso summt es den ganzen Tag in meinem Kopf.
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LEBENSWERT
Was bedeutet der Begriff Bildungsbürgertum für Sie?
Bildung ist per se ja nichts Schlechtes, da es einen wahnsinnig bereichert im Privaten und auch beruflich weiterbringt, wenn man etwas liest oder in ein Thema eintaucht. Gerade im Chor sind oft gebildete Menschen, die sich für Musik vielleicht nur am Rande interessieren und mir Dinge erzählen, die ich noch nicht weiß. Dann merke ich, dass diese Menschen ein wahnsinnig reiches Leben führen. Gleichzeitig sind sie auch finanziell nicht arm und das ist ein bisschen anrüchig am Bildungsbürgertum. Aber sie machen auch etwas mit ihrem Geld. Sie bereichern ihr Leben mit Bildung. Das finde ich toll und das versuche ich auch meinen Kindern weiterzugeben, auch wenn es nicht immer auf Begeisterung stößt.
Wie sind Sie in Bezug auf Bildung groß geworden?
Ich bin in einem evangelischen Pfarrhaus auf dem Dorf aufgewachsen. Dort war es noch klassisch bildungsbürgerlich. Bei uns wurde musiziert, später hatte ich Musikunterricht und so ergab sich das auch mit meinem Beruf.
Ich würde mir wünschen, dass Bildung und Kultur als Lebenswert wichtig genommen werde
Christoph Koerber
Wie ist das bei den Kindern, mit denen Sie arbeiten?
Im Kinderchor ist das im Gegensatz zu den erwachsenen Chören sehr aufgeweicht, denn da kommen auch viele Leute aus anderen Milieus. Gerade die wollen aber, dass ihre Kinder eine gewisse Bildung genießen. Das dünnt sich später leider aus. Aber es sind auch einige, die durch den Chor Kontakt zu einer anderen Bildung bekommen, den sie von Haus aus nicht gehabt hätten. Dabei merken sie oft, das gibt ihnen total viel. Das finde ich faszinierend.
Meinen Sie, das Bildungsbürgertum wird kleiner?
Man sieht es ja am Fernsehen. In meiner Jugend kam am Samstagabend im ZDF eine Oper. Ich hab mir die auch nicht angeschaut, aber das war einfach so. Das hat sich total gewandelt, denn diesen Bildungsauftrag kommen die Öffentlich-Rechtlichen heute nur durch ihren Qualitätsjournalismus nach. Ansonsten laufen ähnliche Formate wie bei den Privaten. Wann kommt denn schon mal ein Bericht in der »Tagesschau« über eine Uraufführung? So würden aber wenigstens alle wahrnehmen, dass es das auch noch gibt.
Was würden Sie daran ändern, wenn Sie könnten?
Das Problem ist, dass Bildung eine Geldfrage ist. Die Leute, die Geld haben, schicken ihre Kinder auf gute Schulen und sponsern alles andere nebenher, wie zum Beispiel Instrumentalunterricht. Deshalb ist der Kinderchor auch kostenlos, damit alle kommen können. Ich würde mir wünschen, dass Bildung und Kultur als Lebenswert wichtig genommen werde. Wir sind heutzutage sehr auf Wirtschaftliches ausgerichtet, doch das ist oft hohl. Denn den Reichtum des Lebens macht meiner Meinung nach die Kultur aus. Das müssen wir mehr vermitteln.
Info
Die Serie Gießener Köpfe
Den kenne ich doch irgendwoher?, werden Sie vielleicht über unseren Interviewpartner denken. Gut möglich, denn diese Gießener Köpfe prägen das Stadtbild, die lokale Kulturszene oder die Bildungslandschaft. Unser Fotograf Oliver Schepp hat acht Gießenerinnen und Gießener ins Rampenlicht gerückt. Und die jungen Journalistinnen und Journalisten vom GAZ-Magazin Streifzug haben mit ihnen über zwei oft ganz unterschiedliche Themen geplaudert. Alle Interviews mit großen Portätfotos gibt's in der Streifzug Sonderausgabe April 2018 an allen bekannten Vergabestellen und in unserer Geschäftsstelle in der Marburger Straße 20.