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»Das Mittelfeld war tot«

Unsere WM-Expertinnen zum Achtelfinal-2:1 der deutschen Elf über Algerien.
02. Juli 2014, 11:48 Uhr
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Kath. Spangenberg

Das Wechselbad der Gefühle bei dieser WM geht weiter. Achtelfinal-2:1 nach Verlängerung gegen Algerien, nun das Viertelfinale gegen Frankreich. Auch für die vier WM-Expertinnen der Gießener/Alsfelder Allgemeinen und der Wetterauer Zeitung. Dass das DFB-Team das 4-3-3-System von Joachim Löw noch nicht verinnerlicht hat, dass die Vierer-Innenverteidiger-Abwehrkette nicht das Optimum ist und dass Mesut Özil zentraler spielen sollte – darüber sind sich unsere Analystinnen einig:

Elena Gewehr (Spvgg. 08 Bad Nauheim): »Das war sicher nicht das, was wir uns alle erhofft haben. Die ersten 30 Minuten waren wie ein Weltuntergang, ich war richtig geschockt. Ein Ausfall wie der von Mats Hummels darf auf diesem Niveau nicht solch eklatante Auswirkungen haben. Das Mustafi rechts überfordert ist, hat man eigentlich schon in den Gruppenspielen gesehen. Für mich gibt es keine Alternative zu Philipp Lahm auf rechts hinten, da hat er nach dem Mustafi-Ausfall gezeigt, was er für die Mannschaft auf dieser Position wert ist. Klar ist auch, und da stehe ich mit meiner Meinung bestimmt nicht allein: Mesut Özil gehört auf die Zehn, nirgendwo anders hin. Gegen Frankreich am Freitag müssen wir nicht nur viel besser als gegen Algerien spielen, da müssen wir sogar noch eine Schippe gegenüber der Portugal-Partie drauflegen.«

Silja Meinhardt (SG Reiskirchen/Saasen): »Ich denke, unsere Mannschaft ist vom Kopf her nicht richtig in das Spiel gegangen, hat zwar gewusst, das Algerien stark ist, war aber davon überzeugt, weiterzukommen. Unser Mittelfeld war tot. Das Gegenteil davon Algerien: lebendig, passgenau, flink – und die Steilpässe kamen auch. Manuel Neuer hat uns zwar den A... gerettet, ich fand das, was er da gemacht hat, aber äußerst riskant. Mustafi und Höwedes sind auf diesem Niveau Fehlbesetzungen auf ihren Positionen. Das Spiel ist zu schnell für sie da draußen. Das Spiel ohne Ball fand nicht statt, es gab keine Laufbereitschaft. Und Özil spielt zu weit vorne, er muss das Spiel vor sich haben. Ich verstehe auch nicht – wie viele deutsche Fans – was sich Löw mit seinem 4-3-3 denkt. Viele unsere Spieler agieren nicht auf den Positionen, auf denen sie eigentlich zu Hause sind. Selbst Schürrle, der für frischen Wind gesorgt hat, kommt doch eher über die linke Seite. Am Beispiel Philipp Lahm hat man das am deutlichsten gesehen. Als er auf seine rechte Seite gegangen ist, war plötzlich viel mehr Sicherheit im Spiel. Ich denke dennoch, Frankreich im Viertelfinale ist ein machbarer Gegner. Vom Kopf her wird das für unser Team ein ganz anderes Spiel, das gibt der Name des Kontrahenten einfach her. Da habe ich weniger Bedenken.«

Juliane Frey (TSV Klein-Linden): »Die deutsche Mannschaft war überraschend nervös, hat den Druck gespürt. Ein Beispiel waren die ungenauen Pässe von Toni Kroos und dessen Annahmeschwierigkeiten. Ich frage mich, weshalb wir nicht von Beginn an so gespielt haben wie die letzten 20 Minuten und in der Verlängerung. Das war aber erst der Fall, als Lahm nach rechts musste und Khedira zusammen mit Schweinsteiger das defensive Mittelfeld gebildet haben. Da kam ein ganz anderer Zug rein. Dass Schürrle ein ganz wichtiger Mann ist, habe ich ja schon vor der WM gesagt. Das hat er bestätigt, der hat vor allem Aggressivität vorgelebt. Was die Defensive betrifft, habe ich große Bedenken. Die Gegner kommen einfach zu leicht zu Torabschlüssen und Höwedes/Mustafi sind im Umschaltverhalten nach hinten einfach überfordert. Das muss man doch erkennen!? Für die Frankreich-Partie bin ich deshalb skeptisch, denn bei denen haben Benzema und Griezmann noch einmal eine ganz andere Offensivqualität und die machen die Dinger rein, die die Algerier versemmelt haben. Zumal ich nicht glaube, dass sich Löw von seinem 4-3-3 abbringen lässt.«

Katharina Spangenberg (TSV Langgöns): »Grausam. Wir haben nur den Ball hin- und hergeschoben. Da war wenig Zwingendes dabei. In der zweiten Hälfte lief es minimal besser, die Einwechslung von Schürrle war bitter notwendig; auch die Umstellungen Lahm/Khedira haben sich positiv ausgewirkt. Es freut mich vor allem für Özil, dass er sein Tor gemacht hat. Ich hoffe, dies ist eine Art Initialzündung für ihn und er spielt nun mit mehr Selbstvertrauen. Lahm hat sich von Beginn an gezeigt und war auffälliger aus Kroos, der für mich die größte Enttäuschung im Mittelfeld war. Er war praktisch unsichtbar. Jedenfalls hätten wir uns über ein Aus nicht beschweren können. Ich bleibe dabei, Klose gehört ins Team, sonst fehlt in der Spitze ein Abnehmer, denn Müller ist ja kein wirklicher Neuner. Aber wem sage ich das?! So haben wir es den Algeriern recht leicht gemacht, die mussten hinten nur die Ketten verschieben und vorne draufgehen, schon sind wir in Schwulitäten gekommen. Ich Frage mich, weshalb der Bundestrainer Klose nicht schon zur Pause gebracht hat? Überzeugt bin ich allerdings davon, dass sich sowohl Frankreich als auch Deutschland im Viertelfinale steigern und wir eine dramatische Partie erleben werden. (aufgezeichnet von ra)

Artikel: https://www.giessener-allgemeine.de/import/mdv/sport/sportspezial/art1168,92943

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