Nach jeder Verleihung des Ovag-Jugendliteraturpreises kommen die 24 Preisträger zu einem Workshop mit Lektoren zusammen, um an den Texten zu arbeiten. Daraus entsteht das Buch »Gesammelte Werke«. Am Donnerstagabend stellte es die Ovag im festlichen Rahmen vor. Dabei hielt der Schriftsteller Matthias Politycki eine inspirierende Laudatio.
D ie Band um Nashi Young Cho leitete den Abend mit »Lieblingsmensch« ein. Um Lieblingsmenschen geht es auch in den Geschichten der 24 Jugendlichen, die im Herbst 2024 den Jugend-Literaturpreis gewonnen haben. Jetzt dürfen sie ein Hardcover-Buch von 238 Seiten in den Händen halten. Alle sind stolz auf ihr Erstlingswerk.
»Das hätte ich mir auch gewünscht«, sagte Laudator Matthias Politycki. »Aber bei mir hat es 16 Jahre gedauert, bis es soweit war. Da war ich schon 32 Jahre alt.« Sehr persönlich erzählte der erfolgreiche Autor, Jahrgang 1955, von den ersten Schreibversuchen als verliebter Teenager und von den Vorleserunden mit den Freunden unterm Nachthimmel. Der Vater habe seine schriftstellerischen Ambitionen abgelehnt. »Die erste Romanveröffentlichung quittierte er in Randnotizen mit Unverständnis: Scherbenhaufen blühender Phantastereien; zum sich Wundern - oder Einstampfen«, erzählte Politycki.
Ehrliche Kritik ist wichtig
Später habe er verstanden, dass ehrliche Kritik überaus wichtig ist. »Ich lernte doch noch die Demut vor dem Stoff, damit verbunden die Demut vor dem Leser«, bekannte er. In jedem Text gebe es etwas zu loben und zu kritisieren. Erst die Annahme dieser Tatsache mache den Unterschied zwischen Amateur und Profi. »Die Kritik schafft die Distanz zum Text. Aber die haben Sie ja durch den Workshop mit den Lektoren schon hinter sich.«
Politycki lobte: die Ernsthaftigkeit der Themen, die Lebensnähe, die Direktheit des Präsens, die aussagekräftigen Dialoge, Metaphern, ein einzelnes treffendes Wort. »Es sitzt alles. Sie haben mich bereits bei Ihrem ersten Karriereschritt als Leser gewonnen und das ist nicht einfach. Also lassen Sie uns auch das Gelingen der Korrekturen feiern«, schloss er seine Rede.
Schon bei der Begrüßung machte Ovag-Vorstand Oswin Veith deutlich, dass Lesen ein kraftvolles Werkzeug für die Resilienz einer Gesellschaft sei. Lesen sei der Boden für Demokratie, basierend auf informierten und kritischen Bürgern. Er dankte Lehrkräften, Eltern und Mentoren, die junge Menschen zur Kreativität anregten. Später überzeugte sich das Publikum selbst von dieser Kreativität. Im lockeren Interview mit Moderator Dennis Schulz lernte es drei junge Damen und ihre Motivation für das Schreiben kennen.
Schon als Kind habe sie gerne geschrieben, erzählte Nese Marie Knöpp (18) aus Wölfersheim. Die Freude sei besonders groß gewesen, als sie beim Frühstück mit ihrer »wundervollen Mutter« vom Preis erfahren habe. Und dann las sie aus »Tanz mit der Zeit«. Ein kleines Männchen lebt im Kirchturm und regelt die Zeiger der Zeit, bis es auf die Erde herunterrutscht und mittendrin die Menschen in ihrer Hektik beobachten kann. Als die Uhr stehen bleibt, bemerkt es niemand, aber die Menschen werden freundlicher und ruhiger.
Mit ihren 16 Jahren wirkt Sarah Ludwig aus Butzbach schon recht abgeklärt. Sie sei dankbar für den Glauben und habe ein offenes Ohr für das Leben und seine Schönheit. Im Weidig-Gymnasium gebe es ein inspirierendes Umfeld. Dort könne viel Identität entwickelt werden, sagte sie. Sie wünsche sich, dass man nach dem Lesen eines Textes noch einmal darüber nachdenke und persönlich etwas mitnehme.
Nachkriegsszenario auf nur einer Seite
Auf nur gut einer Seite hat sie ein intensives Nachkriegsszenario beschrieben: aus Trauer, versiegten Tränen, einem Mädchen ohne Namen und Stimme. In einem Laden, in dem »die fahlen Töne des Kriegs notdürftig mit Farbe überdeckt sind«. Trotzdem ist es ein Anfang bei Kaffee aus Wasser und Erinnerung.
Marie Luise Wäß (23) aus Ortenberg ist schon zum zweiten Mal Preisträgerin und will das Schreiben als Hobby weiterbetreiben. Die Ausbildung zur Krankenpflegerin lasse ihr nicht genügend Kraft. Es sei doch ein schwieriger Weg, um vom Schreiben leben zu können, sagte sie.
Ihre Geschichte dreht sich um den zwölfjährigen Julius, dessen Eltern vor dem obdachlosen Walle an der Bushaltestelle warnen. Julius erlebt Walle ganz anders. Er freundet sich mit ihm an und reift an der Begegnung. Bis Walle nicht mehr kommt. Er ist tot. Da weiß Julius: Um Geschichten zu schreiben, muss man Gefühle, Gedanken und Gerüche erlebt haben.
In den »Gesammelten Werken 2024« der Ovag sind vertreten: Nina Ahlig (Schotten), Emilia Bauer (Schrecksbach), Pia Bonn (Friedberg), Jola Borg (Gießen/Wißmar), Luana Cimiotti (Stadtallendorf), Hermine Gronemeyer (Mücke), Isabella Heinz (Lich), Paul Kämmerer (Gießen), Paul Emil Kiesow (Friedberg), Nese Marie Knöpp (Wölfersheim), Cheyenne Kristin Kubala (Gründau), Sarah Lenhart (Linden), Luisa Emilia Lenser (Bad Nauheim), Heidi Lubina (Hammersbach), Sarah Helena Ludwig (Butzbach), Marie Joelle Middendorf (Rosbach-Rodheim), Julia Rausch (Romrod), Luna Schmidt (Allendorf/Lumda), Hannah Schmitt (Nidderau/Eichen), Angelika Scholl Rojas (Wölfersheim), Emilie Specht (Nidda), Finn Leon Wagner (Schlitz), Marie Luise Wäß (Ortenberg) und Lilli Weiskopf (Gießen). Dazukommt die Schrenzerschule aus Butzbach mit dem »Briefwechsel zwischen Generationen«.
In jedem Fall am Wettbewerb teilnehmen, rät Marie Luise Wäß aus Ortenberg jedem, der gerne schreibt. Einsendeschluss für den 22. Jugendliteraturpreis der Ovag 2025 ist der 31. Juli. Das aktuelle Buch »Gesammelte Werke 2024« ist im Buchhandel oder telefonisch unter 0 60 31/68 48 11 93 erhältlich.