Ich fahre immer ordnungsgemäß«, erklärt ein junger Mann aus der Pfalz dem Polizisten, der gerade den Kofferraum seines kleinen Renault durchsucht. Ein Hauch von Nervosität schwingt in der Stimme des Fahrers mit. Er erlebt ja auch keine alltägliche Situation: Er ist am Donnerstagmorgen auf der A 5 nach Norden unterwegs, als im Wagen vor ihm die »Bitte folgen«-Anzeige aufleuchtet und ihn auf den Rastplatz Schäferborn südlich von Rosbach lotst. Dort bittet ihn ein Polizeibeamter, Ausweis und Fahrzeugschein vorzuzeigen und den Kofferraum zu öffnen.
Warum er angehalten werde, möchte der Pfälzer wissen. Er sei zufällig ausgewählt worden, erfährt er, im Rahmen eines groß angelegten Fahndungs- und Kontrolltages, der einmal im Jahr stattfindet. Von »Schleierfahndung« spricht die Polizei. Dabei werden Personen kontrolliert, ohne dass ein konkreter Verdacht bestehen muss. Vorrangiges Ziel ist die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität.
Der Fahrer nickt verständnisvoll: »Ja, Frankfurt ist ein Brennpunkt-Gebiet.« Polizei-Pressesprecher Tobias Schwarz weist darauf hin, dass die Wetterau mitten in Europa liegt. Wer den Kontinent durchkreuzt und Finsteres im Sinn hat, vom Schleuser bis zum Schmuggler, kommt mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit hier entlang. Insofern rechne man auch mit Zufallsfunden: »Wir werfen das Netz aus und schauen, was reingeht. Aber dass wir etwas finden, wenn wir an der Autobahn kontrollieren, ist sicher.«
Internationaler Haftbefehl
Knapp 50 Polizeibeamte sind dafür zusammen mit einer Fahndungsgruppe vom Zoll zwischen 11 und 18 Uhr im Einsatz, auf dem Rastplatz, aber auch mit mobilen Streifen auf allen Autobahnen im Dienstbezirk des Polizeipräsidiums Mittelhessen.
Der Pfälzer freut sich, dass er nach wenigen Minuten mit der Auskunft »Bei Ihnen ist alles vorbildlich« weiterfahren darf. Ein 25-Jähriger Türke hingegen wird verhaftet: Die Kontrolle seiner Personalien ergibt, dass in seiner Heimat ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt worden war, wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Ein Mann, der in der leeren Ladefläche eines Sprinters entdeckt wird, ohne Sitz und ohne Gurt, schnappt sich schnell noch eine Packung Kippen, bevor seine Kollegen ohne ihn weiterfahren müssen, und beginnt sofort zu telefonieren.
Bauchgefühl und Erfahrungswerte
Bei den Kriterien, nach denen die Pkw und deren Fahrer ausgesucht werden, spiele Berufserfahrung eine große Rolle, sagt Pressesprecher Schwarz. »Bei manchen Kollegen sind diese Erfahrungswerte so ausgeprägt, dass fast jede Kontrolle ein Treffer ist.« Exakte Parameter könne man aber nicht nennen. »Wir kontrollieren billige wie auch hochklassige Wagen, Männer, Frauen, Ältere und Jüngere, Inländer und Ausländer.« Wie gründlich die Kontrolle ausfalle, hänge mitunter auch vom Verhalten der Fahrzeuginsassen ab.
Immer zwei Beamte nehmen sich einen Wagen vor, meist liegt die Hand dabei locker auf dem Pistolenholster. Die Fahrer werden gebeten, beide Türen weit zu öffnen, aus Sicherheitsgründen. Immerhin, es muss auch mit aggressivem Verhalten gerechnet werden.
Am Ende des Tages werden die Beamten insgesamt 109 Fahrzeuge und 183 Personen kontrolliert und eine Reihe von Delikten festgestellt haben, von Lappalien wie einem defekten Blinker bis zum Fahrer unter Drogeneinfluss.
Ein gefälschter Führerschein
Im Befehlskraftwagen leuchtet eine Urkundenvorprüferin ein verdächtiges Dokument mit UV-Licht ab und nimmt es unter die Hightech-Lupe mit 22-facher Vergrößerung: Doculus Lumus heißt das Gerät, mit dem sie Drucktechniken und Sicherheitsmerkmale auch professioneller Fälschungen entlarven kann. Ein rumänischer Führerschein geht in Ordnung, doch dann wird sie fündig: Eine türkische Fahrerlaubnis ist gefälscht. Dreimal werden Personen identifiziert, die im Asylverfahren abgelehnt worden waren und mit abgelaufenem Aufenthaltstitel unterwegs sind. Sogleich wird Kontakt mit der Ausländerbehörde aufgenommen, um das weitere Vorgehen zu klären.
Am Steuer eines Wagens mit französischem Kennzeichen sitzt ein Algerier mit polnischen Aufenthaltstitel. Den Wagen habe er in Deutschland gekauft, er sei auf dem Weg nach Frankreich. Doch, und das ist »der verbotene Verwaltungsakt«, der ihn 300 Euro kosten wird, er hat ein französisches Kurzzeitkennzeichen angebracht. »Er hätte ein deutsches Ausfuhrkennzeichen benötigt«, erklärt ein Zivilfahnder. Eigentlich dürfte der Mann nicht weiterfahren. Aber: »Wir gestatten ihm die Weiterfahrt zur nächsten Zulassungsstelle«, sagt der Polizist, der nach dem Motto kontrolliert: »Mensch sein, Mensch bleiben.«
INFO: Schleierfahndung
Bei der Schleierfahndung werden seit 1995 (zunächst in Bayern, dann auch in anderen Bundesländern) verdachts- und anlassunabhängige Personenkontrollen verdeckt (»verschleiert«) durchgeführt, durch die Polizei der Bundesländer oder die Bundespolizei in Grenzgebieten, auf Flughäfen, an Bahnhöfen und an weiteren Verkehrsknotenpunkten. Ziel ist die Verhinderung und Aufklärung von Straftaten, als Ausgleich für den Wegfall von Grenzkontrollen. Die Methode ermöglicht es zudem, durch Zufallsfunde eine große Bandbreite an Delikten aufzudecken, darunter das Fahren ohne Fahrerlaubnis oder verkehrsuntaugliche Fahrzeuge. (wjs)