Würden die Bundestagsabgeordneten per Facebook gewählt, hätte Natalie Pawlik klar die Nase vorn: Rund 1400 Bürger folgen ihr dort, bei Oswin Veith sind es nur 550. Wöchentlich werden die Beiträge von 600 bis 700 Usern aktiv geteilt, die Seite wird rund 20 000 Mal im Monat aufgerufen. Einziges Problem aus Sicht der SPD: Die Bundestagskandidaten werden nicht per Facebook gewählt. Kein Problem, dachte sich Natalie Pawlik, dann gehe ich eben direkt nach Hause zu den Wählern.
Rund 2000 Hausbesuche habe sie in den letzten Wochen absolviert, erzählt Pawlik, einige davon mit dem hessischen SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel. »Das direkte Gespräch ist besser und effektiver als der Wahlkampf in sozialen Medien.« Zumal sie den ja schon fast gewonnen hat. Die Reaktionen an den Haustüren seien sehr positiv, erzählt Pawlik. »Die Themen, die den Leuten wichtig sind, entsprechen exakt den Themenschwerpunkten der SPD.« Gerechtigkeit, Arbeitnehmerschutz, Rente, Wohnraummangel – das bewege die Menschen.
Sichere Renten, sichere Arbeit
Viele ältere Menschen könnten von ihrer Rente nicht leben. Pawlik: »Die Unsicherheit ist groß.« Wofür sich die 24-Jährige besonders einsetzen will, ist »Sicherheit durch sichere Arbeit«: »Wir haben eine super ausgebildete Jugend, aber die werden nach dem Studium von Praktikum zu Praktikum weitergereicht. Jeder zweite unter den jungen Menschen befindet sich in einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis.« An Familienplanung oder den Hausbau sei aufgrund der finanziellen Unsicherheit nicht zu denken.
Anderes Beispiel: Eine junge Mutter macht die Tür auf, das Kleinkind auf dem Arm, den schulpflichtigen Jungen im Schlepptau. Sie klagt über die hohen Kosten bei der Beschaffung von Schulmaterial. »Schon in der Grundschule sind bestimmte Marken vorgegeben.« Menschen mit geringerem Einkommen werden gesellschaftlich abgehängt.
Die bundesweiten Umfragewerte für die SPD sind nicht gerade berauschend. Für Landrat Joachim Arnold, Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Wetterau, lohnt es sich trotzdem, Wahlkampf zu machen. »60 bis 70 Prozent der Wähler wissen noch nicht, bei wem sie ihr Kreuzchen machen. Am Ende gibt es vielleicht 40 Prozent Stammwähler.« Außerdem, so Arnold, trete die SPD mit einem »jungen, frischen Gesicht« an: »Wir setzen auf die Zukunft.«
Selbst wenn Natalie Pawlik dem CDU-Kandidaten Oswin Veith nicht das Direktkandidat abnehmen kann, hat sie gute Chancen auf einen Einzug in den Bundestag. Sie steht auf der Landesliste auf Platz 14, beim letzten Mal zogen 15 hessische SPD-Abgeordnete über die Liste in den Bundestag ein. Arnold: »Seit langem ist unsere Kandidatin wieder einmal gut auf der Liste platziert.«
Da es laut Arnold »keine großen Aufregerthemen« gibt, will die SPD im Wahlkampf weitermachen wie bisher: Die Menschen direkt ansprechen und sie mit Aktionen an die Infostände locken. In Bad Nauheim wird es ein Europa-Frühstück mit dem EU-Abgeordneten Udo Bullmann (Gießen) geben, in Bad Vilbel ist ein Seniorentanzabend geplant, in Karben ein Grillfest. Außerdem sind Podiumsdiskussionen mit den anderen Bundestagskandidaten terminiert, beispielsweise beim Stadtjugendring in Bad Nauheim. Saalveranstaltungen, zu denen die Politprominenz aus Berlin oder sonstwo anreist, hätten sich ein wenig überlebt, sag Arnold. »Die Leute wollen lieber ihre Direktkandidaten kennenlernen.« Ganz ohne SPD-Promis wird der Bundestagswahlkampf in der Wetterau aber nicht über die Bühne gehen: Am 17. September kommt Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, in die Horlofftalhalle nach Echzell.
Wer’s nicht ganz so direkt mag, kann Natalie Pawlik auch im Fernsehen kennenlernen. In der zweiten Folge des ZDF-Experiments »Wähl mich! Jungpolitiker auf Stimmenfang« musste sie ihre »perfekte Wählerin« von ihren Ansichten und Ideen überzeugen. Am Ende stand auf dem Wahlzettel ein großes rotes Kreuz bei »Ja«.