Hungen/Gießen . Der Prozess um die Ermordung von Daniel M. ist zu Ende. Die Fünfte Große Strafkammer des Landgerichts Gießens unter dem Vorsitz von Regine Enders-Kunze verurteilte am Montag beide Angeklagten zu lebenslänglich wegen gemeinschaftlichen Mordes. Mit diesem Urteilsspruch ist das wohl längste Strafverfahren am Landgericht am 127. Verhandlungstag zu Ende gegangen. Am Ende der Beweisaufnahme stand für das Gericht fest, dass die Angeklagten Daniel M. am 17. November 2016 ermordet haben.
Es war ein sehr aufwendiges Verfahren, wie Enders-Kunze zu Beginn ihrer eineinhalbstündigen Urteilsbegründung auflistete: Eine Verfahrensdauer von fast vier Jahren, 70 Zeugen, sieben Sachverständige, zwei aufwendige Durchsuchungen von Seen, 137 Beweisanträge der Angeklagten und ein Einstellungsantrag sowie etliches mehr mussten vom Gericht durchgearbeitet werden. »Leider konnten dennoch immer noch nicht alle Fragen beantwortet werden, zum Beispiel, wo der Ablageort der Leiche wirklich ist.«
Leiche bis heute nicht gefunden
Das Besondere an diesem Fall, der auch als »Mord ohne Leiche« bezeichnet wird, ist, dass die Leiche des Ermordeten bis heute nicht gefunden wurde. Beide Angeklagte beschuldigten sich gegenseitig der Tat.
»Das ist eine besondere Konstellation«, meinte sie, denn es stehe damit außer Frage, dass Daniel M. ermordet wurde und dass die beiden Angeklagten bei der Tötung dabei gewesen seien. Daher könne man einiges aus den Aussagen herauslesen, die beide gleichlautend machten.
Demnach hat sich Folgendes zugetragen: Der damals 39-jährige Daniel M. wurde unter einem Vorwand von einem der beiden Angeklagten, einem Mathematiklehrer aus Bruchköbel, in das Auto von Robert S., dem zweiten Angeklagten, einem IT-Spezialisten aus Eppstein, gelockt, um nach Hungen-Bellersheim zu fahren. Auffällig sei auch, dass sie nur Landstraße gefahren seien.
Dann kam es zu einem Stopp. Vom Rücksitz aus habe es zwei Schüsse mit einer Waffe mit einem Schalldämpfer gegeben, anschließend sei der Schütze oder der andere Täter zur Beifahrertür gegangen und habe noch weitere Schüsse auf das wehrlose Opfer abgegeben. Nach Ansicht des Gerichts war der Mathematiklehrer der Schütze.
Anschließend seien sie in die Hofreite nach Bellersheim gefahren, hätten die Leiche in ein Gebäude des Bauernhofs gebracht und anschließend das Auto gereinigt. Im Nachgang zu der Tat hätte der IT-Spezialist, der der Eigentümer der Hofreite war, sich um die Beseitigung der Leiche gekümmert. Und der Lehrer habe ein Auge auf die anschließenden Suchmaßnahmen der Eltern des Opfers gehabt. Dabei habe er bewusst Fehlinformationen gestreut.
»Das Ganze hätte Stoff für einen Film hergegeben, der sein Geld wert gewesen wäre«, sagte Enders-Kunze über das Tatgeschehen. Nach der Feststellung der Kammer gab es einen gemeinsamen Tatplan, das Opfer Daniel M. in ihre Gewalt zu bringen, um das Entführen und oder die Tötung eines Menschen für spätere Taten zu üben. Auf jeden Fall sei es der Plan der beiden gewesen, Daniel M. zu töten, weil er beide Täter kannte. »Wenn es bei der Tötung von Daniel M. tatsächlich um das Üben gegangen ist, dann ist es an Sinnlosigkeit und Empathielosigkeit nicht mehr zu überbieten«, betonte die Richterin.
Details sprechen gegen Einzeltäter
Detailliert arbeitete Enders-Kunze heraus, warum beide gemeinschaftlich gehandelt hätten und was gegen eine Einzeltäterschaft spreche. So sieht die Kammer es als unglaubwürdig an, dass der Mathematiklehrer allein und völlig unvermittelt eine Waffe im Auto gezogen, diese an den Kopf des Opfers gehalten und plötzlich abgedrückt habe. Auch berge eine solche Tat vor Zeugen die Gefahr der Entdeckung. Im Vorfeld hätten beide Täter immer verschiedene Szenarien diskutiert. »Ein Jahrzehnt lang ziehen sich diese Entführungsszenarien durch ihr Leben, um ans dicke Geld zu kommen.«
Der Lehrer hatte zwei Gesichter: Auf der einen Seite die bürgerliche Seite als Lehrer, zum anderen ging er häufig ins Bordell, dealte zudem mit Drogen und hatte Überlegungen zum Handel mit Falschgeld gemacht. Sein Tatpartner hatte ebenfalls einen hohen Geldverbrauch, da er selbst nur auf der obersten Liga mitspielen wolle. Allerdings seien dessen Verhältnisse auf Dauer schlechter geworden. Er habe seinen Sportwagen der Marke Maserati verkaufen müssen und zuletzt am Flughafen gearbeitet.
Auf einem Computer-Stick habe man verschiedene Entwürfe von Drohbriefen gefunden und Packlisten für Geldscheine. Der Lehrer habe dies dokumentiert, nur nichts über die Tat. »Das steht doch diametral zu ihrer Behauptung, dass sie immer Beweise gegen den anderen haben sammeln wollen«, sagte Enders-Kunze dazu. Dass er seit der Tat in völliger Angst vor dem zweiten Angeklagten gelebt habe, das nahm ihm die Kammer nicht ab.
Die Aussage des Lehrers, dass der IT-ler ihn als Zeugen bei der Tat dabei haben wollte, um ihn erpressbar zu machen, hielt die Kammer für unglaubhaft. Als geradezu absurd sah es die Kammer an, dass der IT-ler Spuren einer fremden Tat beseitigen würde, wenn er nicht selbst darin verwickelt gewesen sei. Als Lebensversicherung und Druckmittel habe der Mann die Kleidung des Lehrers samt jenen Lederhandschuhen, an denen noch Schmauchpartikel klebten, aufgehoben. Als der IT-ler den Druck auf den Lehrer erhöht habe, um möglicherweise erneut ein Verbrechen zu begehen, sei der erst zur Polizei gegangen. Das war 2020. »Das war nicht freiwillig, sondern nur, weil Beweismaterial aufgetaucht ist.« Der andere Angeklagte habe dem Lehrer Fotos mit dessen Kleidung geschickt, die dieser an dem Abend angehabt habe.
Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt
Beide hätten die Arglosigkeit ihres Opfers ausgenutzt, so dass das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllt wird. Für die Kammer war klar, dass das Zusammenwirken der beiden immer auf die Tötung von Daniel M. angelegt war.
Der Vater des Getöteten hat als Nebenkläger jeden einzelnen Verhandlungstag im Gerichtssaal mitverfolgt. Er musste sich viele unsägliche Dinge über seinen Sohn anhören, die die beiden Angeklagten über ihn behaupteten.
Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger zeigte sich mit dem Urteilsspruch zufrieden, auch wenn das Gericht die von ihm geforderte besondere Schwere der Schuld nicht ausgesprochen hat. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft würde das Urteil passen, so dass man nach jetzigem Stand keine Revision beantragen werde. Dieser Weg steht den beiden Angeklagten offen, die mit versteinerter Miene der Urteilsverkündung gefolgt waren.