09. Mai 2025, 19:52 Uhr

Serie Städte & Gemeinden

Herrlich weites Pohlheimer Land

Die Menschen in Pohlheim lieben die Vielfältigkeit und Kontraste. Im zweiten Teil unserer Serie über die Städte und Gemeinden macht der Anzeiger in der Limesstadt Station.
09. Mai 2025, 19:52 Uhr
EWW
Pohlheims Kernort-Watzenborn-Steinberg aus der Vogelperspektive. Im Vordergrund das Baugebiet Oberweg. Foto: Bräuning

Pohlheim . Was für eine herrliche, hügelige und dennoch weite Landschaft, viele schöne Aussichtspunkte, ideale Bedingungen für Spaziergänger und Radfahrer, die allerdings Puste brauchen. Pohlheim, die größte Stadt auf dem Lande nach Gießen, kann dagegen nicht mit großen Wäldern aufwarten. Dafür gibt es als Belohnung Panoramen satt. Das Auge ruht auf dem Gießener Land in seiner Pracht.

An die alte Römergrenze erinnert die Nachbildung des Limesturms, der einst bestiegen werden konnte. Mutige erreichten eine Balustrade auf einer recht steilen Holztreppe. Hier flattert mittlerweile hinter dem Turm das Absperrband im Wind. Die Stiege ist gesperrt, der Rundgang brüchig. Radler, die den Teil des Limesradwegs hier vorbeifahren, fragen sich, wo bleibt der Anziehungsort für Touristen. Doch eine Rast ist der Platz allemal wert.

Den Ort, der als Wahrzeichen besser dient, sieht man allerdings beim Blick in eine künstlich angelegte Sichtschneise im zugehörigen kleinen Waldstück, extra dafür angelegt: Ein ganz in der Nähe befindliches historisches Gemäuer, im Frühjahr besonders hübsch umgeben von gelb leuchtenden Rapsfeldern. Es ist das Wahrzeichen des Stadtteils Grüningen, das Hoinkdeppe.

Ein Mus-Töpfchen in Grüningen

Das Pflaumenmus-Töpfchen, so übersetzt der Volksmund, war einst eine Mühle, deren Mauern erhalten wurden. Ein atemberaubendes Panorama erwartet einen nach dem Aufstieg. Nur etwa einen Kilometer Luftlinie entfernt liegt der Ort Grüningen. Dessen Einwohner sind sehr selbstbewusst, nicht von ungefähr, leben sie doch in einem Ort, der eine Zeit lang Stadtrechte genoss. Nur wenige Meter nach dem Ortseingang aus Richtung Watzenborn-Steinberg erwartet einen eine historische Tankstelle, ein Relikt aus Tagen der hochmechanisierten Autowelt.

Im Ort finden sich versteckt die Reste einer Burg, die jedoch außer bei örtlichen Festen nur donnerstags betreten werden kann. Auch einen Blick ins Innere der Grüninger Kirche sollten Besucher einplanen. Vom Gotteshaus aus fährt man weiter nach Holzheim, das zunächst den Charme eines Dorfes ausstrahlt, das zu schnell gewachsen ist. Ein Kreisel samt Neubaugebiet bildet das Entré. Wer diesen umrundet, findet Neuzeitliches aus der Schweißerei in einem Gartenteil, den exzentrischen Helden Bender aus der Zeichentrickserie Futurama.

Jetzt nicht umdrehen und zurückfahren, einfach den Kreisel umrunden und hinein in einen Ort, der eine äußerlich unscheinbare kleine Kirche an der Durchgangsstraße aufzubieten hat, die allerdings innen umfangreich verziert ein Kleinod ist.

Wer den richtigen Abzweig nimmt, der kann das einzige Freibad in der Region finden, dessen Wasser erwärmt wird. Und an einem Ortsausgang gibt es ganz abrupt, ein kleines Gewerbegebiet mit einem Geschäft für Raumkonzepte.

In Holzheim wird die Weite des Pohlheimer Landes plötzlich durch zwei Autobahnen beschnitten. Wer außer Feldern seltene Natur sucht, der wird im Schutzgebiet Steinkaute eine Oase finden.

Die Holzheimer selbst sind dafür bekannt, nicht allen Verheißungen der Obrigkeit Applaus zu spenden. Die Bürger protestierten in den 80er Jahren massiv, aber auch pfiffig gegen eine geplante Kreismülldeponie am Rande der Ortschaft, sodass Kreispolitiker am Ende den Kopf einzogen. Klare Worte werden hier öfter gesprochen.

Von Holzheim aus wendet man sich mit dem Auto gen Osten nach Dorf-Güll, den kleinsten Stadtteil Pohlheims. Beim Abbiegen in Richtung Garbenteich findet sich ein modern designtes, evangelisches Gemeindehaus, die Arche, kurz vor der Jahrtausendwende fertiggestellt.

Der Glaube spielt in Dorf-Güll eine wichtige Rolle, denn hier haben sich strenggläubige Baptisten angesiedelt. Die Dorf-Güller selbst sind ein lebenslustiges Völkchen. Dazu tragen viele junge Einwohner bei, die die Dorfgemeinschaft mit Festen beleben.

Die Dorfbewohner sind aber auch erfindungsreich, ein Elvis-Roboter kann für Feiern ausgeliehen werden, aber auch ein Haus im Haus findet sich hier versteckt.

Tradition und Moderne

Tradition und Moderne, die Dorf-Güller sind (allem) aufgeschlossen. Der Duft von Barbecue zog hier schon Anfang der 70er Jahre durch die Ortslage. Viele in der Umgebung stationierte Amerikaner fanden im Grünen in einer Neubausiedlung eine Oase der Ruhe und einen Grillplatz.

Von Dorf-Güll aus geht es in den nördlichen Ballungsraum der Stadt, Garbenteich, Hausen und den Kernort Watzenborn-Steinberg. Hier verliert sich bereits die dörfliche Struktur, immer mehr Menschen wollen am Rande der Stadt Gießen im Grünen leben. Daher werden große Baugebiete geschaffen.

Demnächst entsteht in Garbenteich ein großes Gewerbegebiet mit Industrieflächen. Der Grüninger Weg im Ort ist links und rechts mit Firmen gespickt. Hier findet sich auch eines von drei aramäischen Gotteshäusern im Süden der Stadt. Eines davon in Hausen ist eine umgewidmete katholische Kirche. Amourös geht es in einer ehemaligen Villa in einem Wäldchen am Grüninger Weg zu. Ein richtiger Ortskern findet sich im zweitgrößten Ortsteil nicht, doch die Kirche ist mitten im Dorf und dort wird auch gefeiert. Nach den Holzheimern sind die Garbenteicher das streitbarste Pohlheimer Völkchen, nicht wegen einer Deponie, sondern einer Mall. Sie boten alles auf, um das Vorhaben zu verhindern, natürlich mit Erfolg.

Die Hausener leben gleich nebenan am Gießener Hausberg Schiffenberg. Sie fühlen sich dort wohl und leben friedvoll.

Ein Gebiet voller Verheißung verbindet die nördlichen Stadtteile auf ganz eigene Weise, Pohlheims Neue Mitte, in der sich auch Auswärtige gerne in großen Ärztehäusern behandeln lassen, Senioren ihren Lebensabend verbringen, Bankgeschäfte in einem futuristischen Bau getätigt werden und alles für den täglichen Bedarf in Märkten zu finden ist. Hier lässt es sich shoppen!

Wer sich vom Konsum überfordert fühlt, flaniert lieber auf der Mockswiese, die einem Glückssymbol, dem Hufeisen, in der Form ähnelt. Dort darf einmal im Jahr in bayrischer Tracht zu Partyschlagern gefeiert werden.

Im größten Stadtteil werden aber auch Bakterien für die Lebensmittelindustrie gezüchtet und schnelle Autos verkauft. Der Kernort ist natürlich Rathaussitz, wobei der Bürgermeister in einem einstigen Gasthaus residiert.

Pohlheim ist vielfältig. In einer alten Kirche finden Veranstaltungen statt, und im eigentlichen Gotteshaus gleich nebenan fasziniert den Besucher ein beeindruckendes Wandgemälde. Und Armenier und Aramäer haben nur ein paar Meter weiter ein besonderes Mahnmal errichtet, das an eine Gräueltat im Ersten Weltkrieg erinnert, an der wir Deutsche beteiligt waren. Die Watzenborn-Steinberger singen immer noch gern, allerdings von der Schar her abnehmend. Einst als Singende Stadt groß geworden, bleibt daher nur das Attribut Limesstadt übrig.

Pohlheim verändert sich rasant im Norden, bleibt selbst im Süden nicht mehr rein ländlich. Daher sei allen Interessierten ein Blick aus einer anderen Perspektive auf dem Segelflugplatz am Steinkopf empfohlen. Einfach fragen: Hoch oben gibt es ganz neue Aus- und Einsichten.



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