Auf dem Gelände der früheren Rodheimer Traditionsgaststätte Bender-Listmann finden derzeit Abrissarbeiten statt. Auch das angrenzende bebaute Grundstück neben der ehemaligen Grund- und Hauptschule ist in die Neugestaltung miteinbezogen. Auf dem Gesamtareal wird ein neuer Gebäudekomplex entstehen. Dies ist Grund, einmal in die Historie des Listmann-Gebäudes mit seiner vielfältigen und wechselvollen Historie zu schauen: Die Neu- und Umgestaltung wäre sicherlich auch im Sinne des bereits 2013 86-jährig verstorbenen Eigentümers Friedel Listmann und seiner ebenfalls nicht mehr lebenden Frau Hella gewesen.
Friedel Listmann war ein Leben lang - trotz seiner schweren Behinderung durch eine Kriegsverletzung - stets sozial engagiert. »Im Mittelpunkt unserer Arbeit steht der Mensch«, war sein Motto in 41 Jahren (1965 -- 2006) als Vorsitzender der heutigen VdK-Ortsgruppe Rodheim, Vetzberg, Königsberg und Frankenbach.
Bis heute erinnern die Säulen des Vorbaus am Haus Nummer 50 in der Gießener Straße an die Rodheimer Traditionsgaststätte Bender-Listmann. Das Gebäude wurde 1860 von Karl Bender erbaut und beherbergte den Wirtschaftsbetrieb bis 1989, dazu eine Metzgerei. Der große Saal wurde 1911 erbaut, war bis in die späten 1950er Jahre hinein Schauplatz rauschender Feste: Familienfeiern und Fastnachtsveranstaltungen stiegen dort, unvergessen ist der umjubelte Auftritt von Ernst Mosch im Jahr 1954.
Der frühere Eigentümer Friedel Listmann war direkter Nachfahre des Erbauers Karl Bender. Der war Landwirt, Metzger - und eben Gastwirt. Sein Sohn Wilhelm Bender II war Bürgermeister, verdiente sein Geld zudem ebenfalls als Landwirt, Metzger und Wirt. Friedel Listmann erinnerte sich gerne an seine Kindheit in diesem Hause. So war er auch als »Kegelbub« auf der Bahn im Listmann-Garten aktiv. Die Bahn war, wie seinerzeit üblich, überdacht, aber an den Seiten offen. Für einen Sonntagsdienst beim Kegelaufstellen gab es damals zehn Pfennige.
Im großen Saal, einem Backsteinbau, fanden schon vor dem Zweiten Weltkrieg Filmvorführungen statt. Friedel Listmann erinnerte sich, dass als erster Film damals ein Stummfilm gezeigt wurde. Für die Kinovorführungen war eigens ein kleines Räumchen hergerichtet worden, von dem aus die Filme auf die Leinwand projiziert wurden. Während des NS-Terrorregimes diente der Saal Großveranstaltungen der Nationalsozialisten.
Inklusive Gartenlokal
Unterhalb der alten Grundschule von Rodheim hatten Listmanns für die Sommermonate auch eine Küche für die Bewirtschaftung des Gartenlokals eingerichtet. Friedenszeiten waren es, doch vieles änderte sich mit dem Krieg. 1938 übernahm Fritz Listmann das Gasthaus. Er wurde 1939 Soldat, ging nach Russland und geriet in Kriegsgefangenschaft. Während dieser Zeit führte seine Gattin Eleonore Listmann, eine geborene Bender, Wirtschaft und Metzgerei weiter. Friedel Listmann, der Sohn des Hauses, holte während dieser Zeit wöchentlich Fleisch und Wurst mit dem Fahrrad für die eigene Metzgerei bei Gottlieb Geller in Bieber, der dort eine gutgehende Metzgerei betrieb. Diese Fleisch- und Wurstwaren wurden nach Fleischkarten verteilt. Während des Zweiten Weltkrieges befand sich im Kleinen Saal der Gastwirtschaft ein Lager mit 15 französischen Kriegsgefangenen. Nach Kriegsende 1945 wurde Listmanns Betrieb behördlich geschlossen. Wirtschaft und Verkaufsladen der Metzgerei diente den Amerikanern als Bar. Bei der Schließung 1945 war auch der Saal der Gastwirtschaft Listmann betroffen. Nach 1945 wurden dort Hohlblocksteine hergestellt und getrocknet. Auch wurden Grabrahmen geschliffen. Dies war dem Saal und insbesondere seinem Boden nicht zuträglich.
1948 kehrte Vater Fritz Listmann aus russischer Kriegsgefangenschaft heim und nahm seine Arbeit als Wirt und Metzger wieder auf. Das erste Fest im großen Listmann-Saal wurde 1950 mit einem Faschingsvergnügen gefeiert. Erstmals nach Kriegsende kamen die Leute wieder mit Festkleidern. Der Rodheimer Fredhorst Weil konnte einige Fotos vom Fasching Anfang der 1950er Jahre im Listmann-Saal zur Verfügung stellen. Damals kam der Fasching durch die vielen Heimatvertriebenen auch in Rodheim in Schwung. Das war auch die Zeit, als der katholische Pfarrer Hollenstein zum Kinderfasching in den Saal lud und es dann hoch her ging. 1950 wurden auch die VdK-Weihnachtsfeiern aufgenommen, zu denen die Witwen mit ihren Kindern und die Kriegsgeschädigten kamen. Der Saal war mit bis zu 350 Besuchern gefüllt. Nach der Trennung der Vetzberger vom VdK Rodheim war kein großer Saal mehr für diese Veranstaltung notwendig. Der Saal selbst wurde im Winterhalbjahr mit zwei großen Öfen mit Holz und Brikett geheizt. 1954 spielte Ernst Mosch dort. »Der Saal war brechend voll, sodass die Kellner kein Bier mehr an die Tische bringen konnten«, erinnerte sich Friedel Listmann. Zu geraden Jahreszahlen fanden die Kirmesfeste in den Gastwirtschaften Listmann und Mank, in den ungeraden Jahren in den Wirtschaften Bechthold (»Dragonersch«) und »Kallches« (Schlierbach-Leicht) statt. »Der Wirt stellte den Saal und sorgte für Speis und Trank, die Burschenschaften sorgten für die Kirmeskapelle und bezahlten diese«, erläuterte Friedel Listmann. »Mein Vater hatte schon Wochen vor der Kirmes Vorbereitungen zu treffen und legte die Rippchen ein«.
Äpfel auf Hochglanz poliert
Der Kleine Saal im hinteren Bereich der Gastwirtschaft diente vor allem den Ortsvereinen für kleinere Veranstaltungen, so auch dem Obst- und Gartenbauverein der - so erinnert sich Friedel Listmann - bei Obstausstellungen die Äpfel so gut säuberte und wachste, dass sie hochglänzend waren. Von April 1956 bis 1967 waren die Gastwirtschaft mit Fremdenzimmern und die Metzgerei an Hans Strutz verpachtet, bis dieser 1967 in Bieber eine eigene Metzgerei eröffnete.
Friedel Listmann, der durch seine Kriegsverwundung nicht in das Geschäft der Eltern einsteigen konnte, besuchte die private Voko-Handelsschule in Gießen und war danach 40 Jahre zunächst auf der Bürgermeisterei und dann in der Biebertaler Gemeindeverwaltung beschäftigt. Listmann war über 40 Jahre Vorsitzender des VdK, zuletzt des VdK Rodheim-Vetzberg-Königsberg und Frankenbach und legte kurz vor seinem 80. Geburtstag den Vorsitz in die jüngeren Hände von Peter Weber aus Frankenbach, der inzwischen ebenfalls verstorben ist.
Durch die Kriegsverwundung und den langwierigen Genesungsprozess von Friedel Listmannn war die Weiterführung der Gastwirtschaft mit Fremdenzimmern nur durch Friedel Listmanns Frau Hella möglich. Von November 1967 bis Mai 1989 betrieb Hella Listmann das Rodheimer Traditionsgasthaus, das ein zentraler Kommunikationspunkt des Ortes und Treffpunkt lokaler Honoratioren war.