09. Mai 2025, 19:50 Uhr

»Mädchen in Watzenborner Tracht«

Geheimnisvolles Bildnis

Nach 73 Jahren kehrt ein Gemälde in das Heimatmuseum Pohlheim zurück. Das Ölgemälde gibt Rätsel auf, die nun der Ortsverein Watzenborn-Steinberg der Heimatvereinigung Schiffenberg lösen muss.
09. Mai 2025, 19:50 Uhr
TWI
Rückgabe des ungewöhnlichen Gemäldes, das nicht ins Hüttenberger Heimatmuseum gehört, aber dort 73 Jahre lang zu sehen war: Lindens Bürgermeister Fabian Wedemann, Museumsleiter Lothar Worm, Dieter Schäfer von der Heimatvereinigung und Leni Weimar, Nachfahrin des Watzenborn-Steinberger Malers, sowie Pohlheims Bürgermeister Andreas Ruck. Foto: Wißner

. Ein über 120 Jahre altes Ölgemälde gibt weiterhin Rätsel auf, die nun jedoch der Ortsverein Watzenborn-Steinberg der Heimatvereinigung Schiffenberg lösen muss.

Dem Verein wurde das als »Mädchen in Watzenborner Tracht« im Hüttenberger Heimatmuseum in Leihgestern präsentierte Gemälde für die Heimatstube Watzenborn-Steinberg übergeben. Museumswärter Dr. Heinz Lothar Worm überreichte das Bild dem Vorsitzenden Dieter Schäfer im Beisein der beiden Bürgermeister Fabian Wedemann (Linden) und Andreas Ruck (Pohlheim).

»Es fällt schon schwer, das Gemälde herauszugeben, doch es gehört eher nach Watzenborn«, versicherte Worm bei der Übergabe, zu der auch Leni Weimer gekommen war. Sie schaute das Bild 2002 beim goldenen Museumsjubiläum an und erkannte darauf ihre Tante Maria Häuser.

Weil sich das Gemälde jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht im allerbesten Zustand befand, waren es seinerzeit Leni und Ehemann Karl Weimer, die 2003 eine grundlegende Instandsetzung durch den Restaurator des Oberhessischen Museums im Alten Schloss in Gießen finanzierten.

Wie Leni Weimar ist die Enkelin des Malers Georg Häuser XIV. (1874 bis 1962). Häuser war Hobbymaler, Landwirt und Wirt des Gasthauses »Zur Krone« in Watzenborn-Steinberg, außerdem auch Posthalter in Steinberg.

Das Gemälde zeigt sein Kind Maria Häuser (1898 bis 1911), das älteste Mädchen unter sechs Geschwistern. Es entstand vermutlich aus Anlass eines traurigen Ereignisses, ihres Todes, anhand einer Fotoaufnahme als Vorlage. Fotos waren seinerzeit noch ausschließlich schwarz-weiß, das Ölgemälde zeigt aber die Watzenborner Tracht in ihrer gesamten Farbenpracht.

Oben rechts auf dem Gemälde findet sich allerdings ein irreführendes Datum »24.3.190?«, nicht nur die letzte Zahl gibt Rätsel auf, sondern auch das Datum vor dem Tod des Kindes 1911. Zunächst ist ist unklar, ob es sich bei der letzten Ziffer um eine 1, eine 7 oder eine 9 handelt. Worm selbst denkt, dass es eine 9 ist.

Und dann wäre noch zu klären, warum es dann zwei Jahre oder mehr vor dem Tod entstanden sein soll. Natürlich spricht viel mehr dafür, dass das Aufnahmedatum der Vorlage verewigt wurde. Eine Rückdatierung aus diesem Grunde ist wahrscheinlich.

Bei der Vorstellung des Gemäldes nach der Instandsetzung berichtete Leni Weimer, dass sie auch herausbekommen habe, wie das Gemälde nach Leihgestern gelangte. »Von meiner Cousine erfuhr ich, dass die zweite Frau von Georg Häuser, also die Stiefmutter des abgebildeten Mädchens, die der Maler 1937, demnach lange nach dem Tod des Kindes, geheiratet hatte, das Bild weggegeben hatte. So landete es irgendwann im Hüttenberger Heimatmuseum«.

Worm dagegen vermutet eher, dass Museumsgründer Georg Heß bei seinen »Sammeltouren« das Objekt in die Hände bekam.

Egal wie es nach Leihgestern kam, nach nunmehr 73 Jahren kehrt es jedenfalls in die Heimat zurück und soll nach den Worten von Dieter Schäfer in der Trachtenstube der Heimatstube einen Ehrenplatz erhalten.

Geschichten um Geschichten

»Es ist ein tolles Bild. Ich könnte so viel dazu erzählen«, versicherte Worm und befasste sich danach mit Hygienefragen damaliger Zeiten. Auf dem Bild ist das Mädchen in seiner platten Haartracht, ohne Häubchen und mit den roten Blumen am Rocksaum, die nur die Unverheirateten trugen, dargestellt. »Diese Art, sich zu frisieren, entstand der Überlieferung nach in Watzenborn in der Zeit um 1897 auf die Initiative einer Pfarrfrau hin. Diese hatte bemerkt, dass sich unter den Hauben der Pfarrtöchter ihres Gatten zuweilen reges Leben entwickelte, sprich: sich Kopfläuse angesiedelt hatten. Frau Pfarrer ging von Haus zu Haus, entlauste sämtliche Damen und zeigte, wie man fortan die Haare zu tragen habe: in der Mitte gescheitelt, als Zöpfe um den Kopf gelegt und mit einem Samtband befestigt.

So sei sofort zu erkennen gewesen, ob sich Läuse eingenistet hatten und »man konnte zeitnah etwas dagegen unternehmen«.

Und dieser Schilderung folgte ein Erlebnis vor dem Bild. »Ein befreundeter junger Arzt, sah sich das Gemälde aufmerksam an und rief erschreckt ganz spontan: »Das Mädchen muss sofort einem Arzt vorgestellt werden, sonst wird es nicht alt. Es leidet an einer hochgradigen Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion). Das kann man an den Augen erkennen, an dem dicken Daumen, an den großen Ohren … Die muss dringend zum Arzt." Worm erwiderte: »Dein Rat kommt mehr als 100 Jahre zu spät.«

Schäfer bedankte sich bei Worm und Bürgermeister Wedemann, dass die Übergabe des Gemäldes so unproblematisch erfolgte. »Ich freue mich, dass das Gemälde wieder zurückkommt«, sagte Wedemann.

Und sein Amtskollege Ruck erklärte: »Wir danken für 73 Jahre Unterkunft hier und werden es die nächsten 200 Jahre in Ehren halten. So eine Rarität gibt es nicht oft. Wir alle versichern, dass es einen hervorragenden Platz erhalten wird.«

Die Heimatvereinigung in Watzenborn-Steinberg kann sich nun an die Recherchen machen, was es genau mit dem Datum auf sich hat und wann das Gemälde tatsächlich gemalt wurde.



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