Rund um die Burg Gleiberg schmiegen sich an den Hängen die einen oder anderen Grundstücke von besonderem geschichtshistorischem Belang. Auf den ersten Blick nicht immer erkennbar, bildet meist starker Bewuchs jenen symbolischen »Mantel der Geschichte« und lässt erst gar keine Vermutung aufkommen, dass hier und dort sich etwas Wertvolles, gar Geheimnisvolles verbergen könnte. Ein gutes Beispiel dafür zeigt sich am Gleiberger Nordhang in den »Borngärten«, wo der alte Schlossbrunnen der Burg und der Siedlung genau so ein Stück vergessene Geschichte ist.
Tradition bewahren
Bis 1887 fungiert er als Ziehbrunnen und wurde dann durch eine Schwengelpumpe ersetzt, die so bis 1912 in Betrieb war, weiß der 95-jährige Erich Leib mit Gleiberger Wurzeln zu berichten. Irgendwann wurde der Brunnen dem Verfall preisgegeben und hatte keine Funktion mehr. In Verlängerung der Gasse »Unter der Burg«, wo man die unbebaute Gleiberger Ortslage durch einen Torbogen am Nordhang betritt, gab es ein von alten Bruchsteinmauern eingefasstes, gemeindeeigenes Grundstück, dessen Mittelpunkt dieser alte Brunnen bildet.
Das Grundstück ist immer noch in gemeindlichem Eigentum, war in Pacht als Gartengrundstück vergeben und genutzt, jedoch hat es über die letzten 14 Jahre sein Gesicht deutlich verändert, wirkt gepflegt, jünger und aufgeräumt. Hier kommt nämlich der Verein Bürgerprojekt Gleiberg ins Spiel, dessen Zielsetzung es unter anderem ist, Traditionen zu bewahren und Gemeinschaftspflege zu leisten, damit sich Bewohner und Gäste in und um Gleiberg wohlfühlen. Mitte 2011 war die Idee geboren, den Schlossbrunnen in seiner historischen Form als Ziehbrunnen wieder herzustellen. Der Pachtvertrag besteht zwischen Verein und Gemeinde seit 11. August 2011 und war ein erster Schritt zur Rechtssicherheit für das Brunnenprojekt. Werner Hofmann und Erich Leib, die die Geschichten kennen, die wie der Efeu einst um die alte Bruchsteinmauer und den Brunnen rankten, wurden initiativ. Zur fleißigen Handwerkerschar aus dem Beritt des Bürgerprojektes gehörten über all die Jahre Ziya und Ferhat Yamaner, Wolfgang Jahn, Torsten und Jens Pausch, die Vereinsvorsitzende Catrin Schepers, der 2. Vorsitzende Ralf Volgmann, Jürgen Denhard, Michael Hartmann, Jan Schepers, Walter Kraft und, inzwischen verstorben, Erich Lautz und Helmut Gresko.
Natürlich war von Anfang an klar, dass man nicht einfach mit Harke, Schaufel, Hammer und Kettensäge losziehen konnte, denn so wie die Burg Gleiberg als denkmalgeschützte historische Gesamtanlage gilt, würde man auch durch die Wiederherstellung des Ziehbrunnens in seiner ursprünglichen Form einen Beitrag zum Denkmal »Burg Gleiberg« leisten, war man sich im Vereinsvorstand bewusst. Eine alte Stahlplatte sicherte seit Jahren den Brunnen, von dem überliefert ist, dass er im Volksmund als »Rechten Brunnen« bezeichnet wird. Am 6. Dezember 2011 lag dann auch die Genehmigung der Unteren Denkmalbehörde für die Durchführung der Arbeiten am »Alten Schlossbrunnen« und die Errichtung eines »Brunnenhauses« vor.
Es gab viele alte Aufzeichnungen, Lagepläne, Fotos und andere Dokumentationen, die Ralf Volgmann im Zusammenhang mit dem Brunnenprojekt gesammelt hat. Dr. Hugo von Ritgen, Architekt und Hochschullehrer, 1889 in Gießen verstorben, schreibt in seiner Abhandlung »Geschichte von Burg Gleiberg« auf Seite 17 unter anderem, »An der Einfassung des Brunnens standen die Worte: »Christus ist die Quelle des Lebens. Julius Brülius.« (der war um 1550 Pfarrer zu Gleiberg). Bestätigt wird diese Zeitzeugenerfassung von Eduard Duller in seinem Schrifttum »Gießen und seine Umgebung«. Er war ein österreichisch-deutscher Dichter, Geschichtsschreiber und Geistlicher. Selbst in den »Rheinischen Provinicialblätter für alle Stände« liest man in Band 3 von 1834 »In der Nähe der Ringmauer befindet sich ein uralter Brunnen, der noch jetzt vorzüglich reines Trinkwasser liefert. Diese Burgruine ist nebst ihrer benachbarten Schwester Vetzberg eine wahre Zierde der Gegend«.
In einem Auszug aus den »Wetzlarsche Beiträge für Geschichte und Rechtsaltertümer« von Friedrich Kilian Abicht liest man dort sogar von einer »verwitterten Mönchsschrift auf dem alten Brunnengeländer«, mit der Inschrift »Maria«. Aufgrund all dieser Texte sei man davon ausgegangen, dass im Rahmen des Umbaues von einer Ziehbrunnentechnik zur Schwengelpumpe 1887 der ursprüngliche Brunnen um rund 1,50 Meter auf die jetzige Höhe aufgemauert und das Gelände rundum mit Geröll aufgefüllt worden sei, so Ralf Volgmann. Steine, Schutt und Unrat waren das Füllmaterial, das das Bürgerprojekt mit Beginn seiner Arbeiten im Brunnen vorfand. Mittels eines selbst konstruierten Dreibocks holte man mehrere Tonnen aus dem Brunnenschacht, darunter auch - leider nur noch als Fragmente - die ehemalige Brunneneinfassung.
In einer Art Sisyphusarbeit schafften es die Helfer, den Steinring, der einst die Brunnenkrone zierte, (fast) vollständig wieder zu rekonstruieren und herzustellen. Bis man aber nach etwa fünf Meter Tiefe damals in den Anfängen der Arbeiten auf Wasser stieß, kamen bei den Schacht- und Restaurierungsmaßnahmen noch zwei Handgranaten zum Vorschein. Die gefährlichen Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg - eine englische Stilgranate und eine belgische Sprenggranate - wurden durch den Kampfmittelräumdienst sach- und fachgerecht unschädlich gemacht. Eile war im Fortgang der Arbeiten nicht geboten und wäre auch nicht dienlich gewesen.
Originalgetreu
Es gab keinen Zeitdruck. Efeu wurde entfernt, die lose Bruchsteinmauer, die das Grundstück umfasst, musste wieder aufgebaut und ein Holzzaun zudem originalgetreu nach den Vorgaben der Denkmalbehörden installiert werden. Das Brunnenhaus ist auch genehmigt. Allein hierbei werden die unterschiedlichen handwerklichen Geschicke all jener, die über die Jahre Hand anlegten, deutlich. Für das Haus wurden aus einem Steinbruch bei Marburg Buntsandsteine herbeigeschafft und verbaut.
Der dicke Stein, der auf alten Fotos und Zeichnungen des Ziehbrunnens zu sehen ist und als Gegengewicht auf dem beweglichen Schwengel befestigt war, wurde als wertvolles Relikt sichtbar in der Mauer des Brunnenhauses verbaut. Kleine Restarbeiten sind noch zu verrichten und natürlich laufende Pflegearbeiten, um das Grundstück in Schuss zu halten.
Das Bürgerprojekt Gleiberg, insbesondere die Mannschaft, die aktiv mitgearbeitet hat beim »Ziehbrunnenprojekt«, sind stolz auf ihr Vollbrachtes. So bildeten die Recherchen und Nachforschungen, die Abstimmungen mit dem Denkmalschutz, die internen Abstimmungen und der ungebrochene Wille, gemeinsam etwas zu Schaffen, den Kit, der über die ungezählten Stunden ehrenamtlicher Arbeit alles zusammen hielt.