21. Februar 2025, 19:09 Uhr

Mehr Sicherheit bei Umzügen

Auflagen lasten auf Narren im Kreis Gießen

Die Sicherheitsvorkehrungen bei den Umzügen im Kreis Gießen werden verschärft. Die Narren rechnen dauerhaft mit Mehrkosten.
21. Februar 2025, 19:09 Uhr
EWW
Für spitze Anspielungen auf den großen Nachbarn gleich nebenan sind die Heuchelheimer Narren bekannt. Doch jetzt werden bei allen Umzügen im Kreis die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, das drückt bei allen ein wenig die Stimmung. Archivfoto: Wißner

. »Die Situation ist nicht schön.« Das unterstreicht Markus Braun, Vorsitzender des Bundes Rheinischer Karneval Bezirk VII Marburg-Gießen. Der Marburger besucht in der fünften Jahreszeit die achtzig Mitgliedsvereine, darunter viele im Kreisgebiet. Dabei hört er so einiges von denen, die größere Umzüge veranstalten. Zwar ist die Sicherheit der närrischen Lindwürmer schon länger Thema, doch nach den Anschlägen in diesem Jahr kommen immer mehr Hiobsbotschaften hinzu. Teils immense Verschärfungen der Vorschriften gibt es. Das bedeutet, mehr Ordnereinsätze und mehr Sperrungen, um die Zuschauer zu schützen. Brauns Karnevalsverein hat sogar den Zug abgesagt, weil die Kosten nicht zu tragen sind.

Lars Burkhard Steinz, Bürgermeister in Heuchelheim , erklärt im Gespräch mit dem Anzeiger gleich, dass die Kommune beim zweitgrößten Umzug in der Region nach Gießen anstehende Mehrkosten abfedern wolle. Immerhin rund 10 000 Besucher werden am Faschingsdienstag, 4. März, ab 14.11 Uhr erwartet, wenn die Heuchelheimer Narren durch den Ort ziehen.

Größere Polizeipräsenz

Wie viele Zugnummern es geben wird, wollte der Präsident des örtlichen Carnevalvereins, Ulrich Jung, noch nicht verraten, von 50 spricht der Hessische Rundfunk im Internet. »Natürlich wird es verstärkte Sicherheitsvorkehrungen geben. Die Sperren stehen von der Gemeinde aus fest, die Feuerwehr hilft und es gibt Ordner. Und die Polizeipräsenz ist dieses Jahr größer. Wir sollten die Pferde jetzt nicht scheu machen. Allerdings muss man sagen, wer es darauf anlegt, wie in Österreich gerade geschehen, der kommt hinein.«

Jung, der seit 34 Jahren in Vorstandsämtern der Heuchelheimer Karnevalisten tätig ist, erinnert sich, dass 1991 aufgrund des Irak-Kriegs der Zug einmal ausfiel. Der Heuchelheimer ist sich sicher: »Wenn wir den Kopf in den Sand stecken, dann geben wir all denjenigen recht, die solche Anschläge verüben.«

Der Zugmarschall der Fassenachtsfreunde in Krofdorf-Gleiberg , Karl-Heinz Schmidt, kennt bereits Sicherheitskonzepte, seit dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin vor neun Jahren. Daher habe es an sich keine Änderung gegeben, betonte der Wettenberger noch am Montag, rief allerdings einen Tag später unverhofft erneut den Anzeiger an: »Kommando zurück, es hat sich was geändert.« Per E-Mail sei ihm von der Gemeinde Wettenberg mitgeteilt worden, dass es jetzt zwei Sicherheitskonzepte brauche, eines für den Zug und eines für die After-Zug-Party, zu der sich die Fassenachtsfreunde seit Jahren nach der Narretei zum Umtrunk auf offener Straße treffen.

Im elften Jahr in Folge ist Schmidt als Zugmarschall unterwegs, Vorkommnisse gab es eigentliche keine. Er weiß, dass einmal ein Linienbus den Zug kreuzen wollte. Dem Fahrer hatte niemand Bescheid gesagt, dass es an dem Tag Veränderungen auf der Strecke geben würde. Aus der Not wurde eine Tugend gemacht und der Bus gleich in den Zug integriert. Die Insassen hätten fleißig gewunken, schmunzelt Schmidt. »Man hofft hier immer, dass man ja auf dem Dorf wohnt und hier nichts passiert. Natürlich weiß man, dass unter den Zuschauern Kinder sind, da müssen unsere Begleiter sehr aufpassen.«

Und er betont weiter: »Wir gehen da jedenfalls mit Mut ran. Es kann nicht sein, dass durch Anschläge alles gefährdet ist. Wenn man das weiterdenkt, würde es auch keinen Lampionumzug mehr geben.« Daher heißt es in Krofdorf-Gleiberg wieder »Der Zuch kimmt!«. Die Narren ziehen mit 41 Zugnummern am Dienstag, 4. März, ab 14.11 Uhr durch Krofdorf-Gleiberg.

Der Bezirksvorsitzende Markus Braun erklärt dagegen, dass der Zug in Marburg abgesagt wurde, allerdings als Stehender Festzug viel Aufmerksamkeit derzeit erhält. Die Biegenstraße in der Nachbarstadt wird kurzerhand zur närrischen Festmeile von 13 bis 16.30 Uhr am Rosenmontag, 3. März, umfunktioniert.

170 000 Euro hätte die Stadt Marburg ein externes Sicherheitskonzept für den eigentlichen Umzug gekostet. Das habe die Stadt zwar ausgeben wollen, doch der zuständige Ausschuss der Karnevalisten habe die Reißleine gezogen, sagt Braun. »Das stand in keinem Verhältnis zu unserem kleinen Zug.«

Er verweist darauf, dass es seit zwei Jahren einen Sicherheitsbeauftragten des Bezirks VII im rheinischen Karneval gibt: »Er könnte sicher helfen, den ein oder anderen Euro noch sparen zu helfen.« In jedem Falle stehe er den Mitgliedern mit Rat zur Seite.

Der größte Umzug in der Region in Gießen mit 100 erwarteten Wagen, Musikanten und Fußgruppen am Sonntag, 2. März, ab 13.33 Uhr in der Innenstadt ist bekanntlich leicht gekürzt worden, aus Sicherheitsgründen.

Im Osten des Kreises mussten die Fassenachtsfreunde Bellersheim erstmals der Stadt Hungen ein Sicherheitskonzept vorlegen. Torsten Müller, Vorsitzender des Bellersheimer Carnevalclubs 1977, hat zudem die Deckungssumme der Vereinshaftpflicht von einer auf zwei Millionen Euro anheben lassen. »Wir stellen zusätzlich in den Haupteinfallstoren große Traktoren auf.« Die Anzahl der Zugnummern am Sonntag, 4. März, konnte er nicht nennen: »Doch es sind mehr Anmeldungen als in den Vorjahren.« Um 14.11 Uhr geht es los im Hungener Stadtteil.

Heuchelheims Ordnungsamtsleiter Michael Thomé betont jedenfalls, dass es aufgrund der traurigen Vorfälle andernorts viel mehr Auflagen gebe. Aufgrund früherer Anschläge sei das schon eine ganze Zeit im Gespräch: »Das ist nicht innerhalb von 14 Tagen gekommen. Die Umstände haben sich aber verschärft.« Natürlich sorge das für Anspannung. Es würden neu alle Hauptzugangswege überwacht, Sperren organisiert und mit Personal besetzt, das untereinander per Funk kommunizieren kann. Die Feuerwehr helfe, und natürlich gebe es Streifen vor Ort wie sonst auch.

»Wir sind am Limit!«

»Wir hoffen, dass wir alles getan haben, was wir tun können«, erklärt Thomé und unterstreicht: »Wir sind allerdings am Limit!« Da, wo es passe, würden schwere Fahrzeuge stationiert. »Die Masse an eventuell benötigten Absperr-Pollern kann man derzeit gar nicht bekommen, geschweige denn andernorts ausleihen, da diese dort selbst gebraucht werden.«

Der Hungener Bürgermeister Rainer Wengorsch bestätigte, dass erstmals ein Sicherheitskonzept in der Stadt von einem Verein gefordert wurde. »Der Mehraufwand ist bedauerlich für die Ehrenamtlichen.« Speziell mögliche Angriffe stünden im Fokus. Sperrungen und Überwachungsmaßnahmen könnten solch ein Szenario verhindern. »Wir helfen in Bellersheim mit dem Bauhof, die Sperren vor Ort zu errichten«, betont der Bürgermeister. »All das ist unangenehm, aber den Umständen geschuldet.«

Dennis Schultheiß, Ordnungsamtsleiter im benachbarten Mücke , zeigt sich entspannter. Alle Sicherheitsvorkehrungen seien getroffen. Die Zugwagen und Fußgruppen positionieren sich am Sonntag, 2. März, und starten um 13.11 Uhr auf der B 276 zwischen Flensungen und Stockhausen.

Pierre Gath, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Mittelhessen, reicht eine Erklärung des hessischen Innenministers Roman Poseck weiter. Hier heißt es: »Die Polizeipräsidien wurden (...) angewiesen, die bevorstehenden Veranstaltungslagen einer aktuellen Gefährdungslagebewertung zu unterziehen und dabei die Besonderheiten der jeweiligen Veranstaltung in den Fokus zu nehmen. Im Ergebnis werden wir die Kräfte bei Bedarf lageangemessen noch einmal erhöhen.«



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