Linden (twi). »Großen-Linden kann in diesem Jahr 550 Jahre Stadtrecht feiern«, verkündete der Vorsitzende des Heimatkundlichen Arbeitskreis Linden, Helmut Faber, zu Beginn des Monatstreffen des Vereins im »Lindener Hof«. Eigentlich sollte die Hüttenberger Tracht im Mittelpunkt stehen. Doch zunächst sorgte Faber für einen Paukenschlag. Bei seinen Recherchen war er auf ein Buch gestoßen, nach dem Großen-Linden bereits 1474 Stadtrechte hatte.
Gefunden hatte Faber einen 1837 in Kassel im Verlag von Bohné erschienenen ersten Band der »Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde« in der Universitätsbibliothek von Michigan/USA und lieferte dazu auch die Erklärung. Bei der University of Michigan Library handelt es sich mit 15,67 Millionen Büchern um die viertgrößte Forschungsbibliothek in den USA. »Die Uni in Michigan war die erste, die Google erlaubte, ihr Archiv zu veröffentlichen. Oft wird ja Google verflucht, aber für diese Zwecke ist es super«, so Faber.
131 Jahre älter
550 Jahre Stadtrechte Großen-Linden erstaunt doch sehr, sollten doch bereits 2005 im Rahmen des Marienmarktabends »400 Jahre Stadtrechte Linden« gefeiert werden. Doch mussten sich an diesem Festabend die Besucher in einer von Faber und der mittlerweile verstorbenen Marie-Luise Westermann verfassten und von Wolfgang Hoth verlesenen Rede belehren lassen, dass der zum Anlass für die 400er-Feier genommene Brief aus dem Jahr 1605 keine Verleihung, sondern eine Bestätigung der bereits vorhandenen Stadtrechte darstelle.
Dies steht auch so auf der Homepage der Stadt Linden, wo sie über die Stadtgeschichte informiert und hier unter 1605 aufführt: »Am 19. Februar bestätigt Landgraf Ludwig zu Hessen Großen-Linden die Rechte einer Stadt.« Allerdings gibt es keine Urkunde, das 1932 von Wilhelm Schupp abgeschriebene Original ist verschwunden. Bereits 2004 hatte Westermann bei Recherchen in den Staatsarchiven von Marburg, Darmstadt und Wiesbaden einen Steuerbescheid aus dem Jahr 1542 entdeckt, auf dem vermerkt ist, dass Großen-Linden wie andere Städte von der Zahlung von Steuern für Kühe und Pferde befreit wird. Dieses Original-Schreiben mit dem Text »Großen-Linden hait Statrecht, gibt darumb von Pferden und khuen wie andere Stette nichts« findet sich im sogenannten »Türkenregister« und ist in Darmstadt archiviert.
Rüstungsregister aus dem Jahr 1474
2016 stieß Faber bei seinen Forschungen in der Universitätsbibliothek in Michigan (USA) auf ein Rüstungsregister von 1474, in welchem die Ausstattung für einen Feldzug von Landgraf Heinrich III. von Hessen gegen Linz am Rhein im Interesse seines Bruders Hermann, des Administrators des Erzstifts Köln, aufgeführt und dabei Großen-Linden in der Liste der Städte aufgelistet wird. In dem vom Archivar am Haus- und Staatsarchiv Georg Landau verfassten Kapitel 15 »Zwei Rüstungs-Register von den Jahren 1474 und 1476« des 1837 erschienenen Bandes listet dieser die Teilnehmer am Feldzug von Landgraf Heinrich III. gegen Linz am Rhein auf, an dem drei Fürsten mit 250 Pferden, 15 Grafen und Herren mit mehr als 600 Pferden und an 140 Edelgeschlechter mitwirkten. Die Städte stellten das Fußvolk, die niederhessischen 2720, die oberhessischen 1670 Mann. An Proviant für das Register unter anderem auf: 963 Kühe, 763 Hammel, 11 Fuder Wein, 220 Fuder Bier (1 Fuder = 960 Liter) und 24 Tonnen Butter. Es gab 563 Transportwagen.
Bei der detaillierten Auflisting findet sich auf Seite 332 zwischen Gießen und Königsberg auch »Großenlinden« mit »30 gewapent (mit Waffen versehen) und 3 Wagen« aufgeführt (Gießen 97 gewapent und 25 Wagen). Auch »Allendorf an der Lome« ist hier unter den 20 aufgelisteten »Städten« zu finden. Acht Seiten weiter werden dann auch die teilnehmenden Adligen, darunter Caspar Sluen von Linden und die Gebrüder Crafft und Wygant von Rodenhusen, genannt. Laut den weiteren Auflistungen stellte »Lindis« für den Feldzug zehn Kühe, zehn Hammel und drei Wagen zur Verfügung. Einen Anlass, die 550 Jahre Stadtrechte zu feiern, regte Faber auch gleich an: »550 Jahre - ich hoffe, wir feiern doch Kirmes in diesem Jahr.« Denn mit Corona kam die Kirmes-Tradition in Großen-Linden zum Erliegen.
Trotz dieser Entdeckung ist keinesfalls bewiesen, seit wann Großen-Linden nun tatsächlich Stadtrechte hat, da es keine Urkunde gibt. Der heutige Lindener Stadtteil befindet sich damit allerdings in guter Gesellschaft, denn auch die benachbarte Universitätsstadt erhielt das Stadtrecht vermutlich schon 1236 oder 1237 und das 782 erstmals urkundlich erwähnte Allendorf/Lumda verweist auf ein Stadtrecht Ende des achten Jahrhunderts.